Strafverfahren & Strafprozess

[VR-Wissen]

Das Strafverfahren: Ablauf, Unterteilung und wesentliche Aspekte der StPO

Der Ablauf eines Strafverfahrens ist in Deutschland genau geregelt. Die Strafprozessordnung (StPO) definiert dabei die meisten Regelungen, die den gerichtlichen Teil des Strafverfahrens (Strafprozess) treffen. Ein Strafverfahren beginnt bereits mit den Ermittlungen gegen eine tatverdächtige Person und untergliedert sich insgesamt in bis zu vier Phasen.

  1. Ermittlungsverfahren: Polizei und Staatsanwalt prüfen den Anfangsverdacht, sammeln Beweise und befragen Zeugen. Am Ende entscheidet die Staatsanwaltschaft, ob es zur Anklage kommt.
  2. Zwischenverfahren: Stellt den Beginn des Strafprozesses dar, in dem das Gericht die Anklage prüft und über die Fortführung oder Einstellung des Strafverfahrens entscheidet.
  3. Hauptverfahren: Die eigentliche Gerichtsverhandlung beginnt. Die Beweise der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung werden vorgelegt sowie Zeugen und Sachverständige angehört. Anschließend fällt das Gericht das Urteil.
  4. Vollstreckungsverfahren: Nach einem Schuldspruch bzw. mit dem rechtskräftigen Urteil beginnt die Vollstreckung der Strafe (etwa in Form von Freiheits- oder Geldstrafe). Verurteilte können allerdings innerhalb einer bestimmten Frist „in Berufung gehen“ oder Revision einlegen.

INFO: Besteht gegen eine Person der Anfangsverdacht, eine Straftat begangen zu haben, so ist sie „Tatverdächtige(r)“. Im Ermittlungsverfahren heißt sie „Beschuldigte(r)“, im Zwischenverfahren „Angeschuldigte(r)“, im Hauptverfahren „Angeklagte(r)“ und im Vollstreckungsverfahren „Verurteilte(r)“.

Unterscheidung der Verdachtsstufen

Ermittlungsverfahren – die erste Phase eines Strafverfahrens

  • Ein Anfangsverdacht liegt vor, wenn Anhaltspunkte für die Strafbegehung sprechen. Die Staatsanwaltschaft ist zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens verpflichtet.
  • Ein hinreichender Tatverdacht besteht, wenn aufgrund der ermittelten Beweise eine Veurteilung wahrscheinlich ist.
  • Bei dringendem Tatverdacht liegt eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit zur Straftatbegehung vor. Es kann eine Untersuchungshaft durchgeführt werden (§§ 112, 122a StPO).

In diesem Verfahrensabschnitt ermitteln die Staatsanwaltschaft und Polizei. Es können Zeugenbefragungen stattfinden, Beschuldigte vernommen und Fingerabdrücke genommen werden. §§ 81-163 StPO listen die möglichen Ermittlungsmaßnahmen auf.

Da die Unschuldsvermutung bis zum Abschluss eines Strafverfahrens gilt, zielt das Ermittlungsverfahren neben der Sammlung von belastenden Beweisen auch auf die Sammlung entlastender Beweise ab. Anschließend entscheidet die Staatsanwaltschaft, ob ein hinreichender Tatverdacht vorliegt und ob sie Anklage erhebt.

Liegt ein hinreichender Tatverdacht vor, beantragt die Staatsanwaltschaft die Eröffnung des Hauptverfahrens und übersendet eine Anklageschrift an das Gericht. Diese enthält unter anderem die zur Last gelegte Tat, sowie Zeit und Ort ihrer Begehung (siehe § 200 StPO). Es kann auch zu einem Strafbefehl statt einer Anklage kommen.

Ist die beschuldigte Person offensichtlich unschuldig oder es gibt keine Beweise, stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Die Einstellung kann auch aufgrund von Verjährung, fehlender Schuldfähigkeit oder fehlendem Strafantrag erfolgen. Der Rechtsanwalt einer beschuldigten Person kann schon während des Ermittlungsverfahrens Akteneinsicht nehmen, sofern dies den Untersuchungszweck nicht gefährdet (§ 147 StPO).

Zwischenverfahren: Prüfung der Anklage und Entscheidung über Eröffnungsbeschluss

Mit dem Eingang der Anklageschrift wird die betroffene Person als Angeschuldigte/r bezeichnet. Im Zwischenverfahren entscheidet das Gericht, ob das beantragte Hauptverfahren zu eröffnen ist. Zur Entscheidungsfindung prüft es die Anklageschrift und ob der Tatverdacht ausreicht. Das Gericht dient hierbei als unabhängige Instanz, die den Sachverhalt im Interesse der angeklagten Person prüft. Entsprechend kann es das Strafverfahren also auch einstellen – entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft.

Beschließt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens, ergeht ein Eröffnungsbeschluss, der die im Strafprozess beteiligten Personen zur Hauptverhandlung lädt.

Hauptverfahren bildet den Kern im Strafprozess

Mit Fertigstellung des Eröffnungsbeschlusses wird die betroffene Person zum/zur Angeklagten und das Hauptverfahren im Strafprozess beginnt. Es findet in der Regel öffentlich statt. In Ausnahmefällen kann aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes die Öffentlichkeit jedoch per Gerichtsbeschluss von Teilen der Beweisaufnahme ausgeschlossen sein. Jugendstrafverfahren finden grundsätzlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit satt.

  1. Mit dem „Aufruf der Sache“ eröffnet der/die Richter/in die Sitzung und stellt die Anwesenheit der Prozessbeteiligten fest.
  2. Es folgt die sogenannte Vernehmung der angeklagten Person zur Identitätsfeststellung und Feststellung der Verhandlungsfähigkeit.
  3. Die Staatsanwaltschaft verliest die Anklageschrift.
  4. Die angeklagte Person wird darauf hingewiesen, dass sie sich zur Anklage nicht äußern muss. Bei Bereitschaft folgt die Vernehmung.
  5. Es folgt die Beweisaufnahme inklusive Anhörung von Zeugen und Sachverständigen, Urkundenbeweisen und/oder Augenscheinbeweisen wie Bildern oder Videos. Die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung des/der Angeklagten äußern sich zu den jeweiligen Ausführungen und Anträgen.
  6. Anschließend hält die Staatsanwaltschaft ihren Schlussvortrag und beantragt in der Regel eine Strafe. Danach folgt das Plädoyer der Verteidigung sowie das berühmte „letzte Wort“ der angeklagten Person.
  7. Im Anschluss zieht sich das Gericht zur Urteilsberatung zurück und entscheidet, ob ein berechtigter Tatvorwurf vorliegt. Ist dies der Fall, so entscheidet es, wie das Urteil ausfallen muss. Dies kann Minuten, Stunden oder (bei komplexen Verfahren) einige Tage dauern.
  8. Das Hauptverfahren im Strafprozess endet mit der Urteilsverkündung „im Namen des Volkes“ und der Rechtsmittelbelehrung. Bei einem Freispruch kann der angeklagten Person ggf. Anrecht auf Entschädigung zustehen.

Vollstreckungsverfahren: die vierte Phase im Strafverfahren

Die vierte Phase eines Strafverfahrens richtet sich gegen die verurteilte Person. Sie unterteilt sich in die Strafvollstreckung und den Strafvollzug. Es besteht eine Frist, innerhalb derer die Verteidigung Rechtsmittel einlegen kann, um gegen ein Urteil vorzugehen. Es bestehen hierbei die Möglichkeiten der Berufung und der Revision.

Wichtig: Es bestehen vor allem im Jugendstrafrecht Besonderheiten. Das Alter von Jugendlichen (14 bis 18 Jahre) und Heranwachsenden (18 bis 21 Jahre) ist ausschlaggebend fürwirkt sich auf den Strafprozess aus.

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Wichtige Fristen und Termine im Strafverfahren

Bei Strafverfahren gelten zahlreiche Fristen. Die nachfolgende Liste bietet einen Überblick über die wichtigsten.

  • Einspruch gegen einen Strafbefehl: Bei Erhalt eines Strafbefehls gilt für einen Einspruch eine kurze Frist von zwei Wochen. Ohne Einspruch wird der Strafbefehl rechtskräftig.
  • Widerspruch bei möglichem Verwertungsverbot: Wenn bei einem Beweis eventuell ein Verwertungsverbot vorliegt, muss der Widerspruch unverzüglich innerhalb der Hauptverhandlung und spätestens nach Abschluss der jeweiligen Beweiserhebung erfolgen.
  • Berufung gegen ein Urteil: Eine Berufung muss innerhalb einer Woche nach einer Urteilsverkündung oder dessen Zustellung eingereicht werden.
  • Revision gegen ein Urteil: Für eine Revision gilt ebenfalls eine Frist von einer Woche. Für die Begründung der Revision bleibt ein Monat Zeit.
  • Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand: Wenn eine Frist schuldlos verpasst wurde – beispielsweise weil eine Rechtsmittelbelehrung nicht stattfand – kann ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gestellt werden.

Hinweis: Eine Berufung hat eine erneute Verfahrensdurchführung vor der nächsthöheren Instanz zur Folge, bei der Beweise erneut erhoben und auch etwaige Zeugen nochmal gehört werden können. Eine Revision ist nur auf die Überprüfung möglicher Rechtsfehler beschränkt.

Rechtsmittel: Berufung & Revision

Berufung und Revision sind Rechtsmittel mit unterschiedlichen Zielen und Auswirkungen. Die Berufung bezeichnet die Überprüfung von Recht und Tatsachen durch eine höhere Instanz. Sie bezieht sich damit auch auf eine weitergehende und erneute Prüfung der Sache, während die Revision ausschließlich auf die rechtliche Beurteilung des Urteils, d. h. der Rechtsanwendung durch eine höhere gerichtliche Instanz abzielt.

Berufung

Das Ziel einer Berufung ist es, eine erneute und umfassende gerichtliche Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung zu ermöglichen. Ein Berufungsverfahren prüft das Urteil und ggf. auch den Sachverhalt erneut. So kann das entsprechende Berufungsgericht sowohl rechtliche als auch faktische Fehler aus der ersten Gerichtsinstanz korrigieren. Die Berufung kommt zumeist zur Anwendung, um das Urteil eines Amts- oder Landgerichts anzufechten. Der Fall wird mit dieser komplett neu aufgerollt.

Revision

Ziel der Revision ist die Überprüfung des Urteils auf seine rechtliche Richtigkeit, ohne dass der Sachverhalt eine nochmalige Prüfung durchläuft. Die Überprüfung umfasst also ausschließlich das rechtliche Urteil des erstinstanzlichen Gerichts. Eine Revision ist zumeist nur in höheren Instanzen relevant, etwa nach einem Urteil des Landgerichts. Sie ist beim Bundesgerichtshof (BGH), in spezifischen Fällen auch beim Bundesverwaltungsgericht oder beim Bundessozialgericht einzulegen.

Geschichtliches zum Thema Strafverfahren:
berühmte historische Strafprozesse in Berlin

In Berlin haben viele Strafverfahren stattgefunden, bei denen die Strafverteidigung nationales und internationales Recht nachhaltig beeinflusst hat. Im Folgenden stellen wir Ihnen eine kleine Auswahl vor.

Jeder kennt die Geschichte vom Hauptmann von Köpenick. Bei der Gerichtsverhandlung zeigte die Verteidigung, dass man mit charismatischer Argumentation öffentliche Sympathien gewinnen und eine Strafmilderung erzielen kann. Seine Rechtsanwälte nutzten die Medienaufmerksamkeit, um Voigt als „Opfer des Systems“darzustellen, der durch bürokratische Umstände zur Tat gedrängt wurde. Durch die erfolgreiche Verteidigungsstrategie im Strafprozess und die öffentliche Sympathie erreichten sie bei diesem Strafverfahren in Berlin trotz Vorstrafen eine milde Strafe und ebneten den Weg zur späteren Begnadigung durch Kaiser Wilhelm II.

Der Journalist und Pazifist Carl von Ossietzky hatte über die geheime Aufrüstung der Reichswehr berichtet und wurde wegen Landesverrats angeklagt. Seine Verteidiger (darunter Alfred Apfel und Max Alsberg) verwandelten den Strafprozess in eine öffentliche Debatte über Pressefreiheit. Sie erreichten internationale Aufmerksamkeit für das Strafverfahren und die Verteidigungsstrategie trug dazu bei, dass Ossietzky 1935 den Friedensnobelpreis erhielt. Die Argumentation hat die spätere Rechtssprechung zur Pressefreiheit und die Entwicklung des modernen Presserechts beeinflusst.

Der Student Benno Ohnesorg hatte an einer Protestkundgebung teilgenommen und starb durch einen Schuss des Polizisten Karl-Heinz Kurras. Die genauen Umstände wurden kontrovers diskutiert. Die Vertretung der Familie Ohnesorg als Nebenkläger deckte massive Fehler im Ermittlungsverfahren auf, was zu wichtigen Reformen im Polizeirecht führte. Dieser politisch aufgeladene Strafprozess hatte bedeutende Auswirkungen auf das Demonstrationsrecht und den Schutz vor Polizeigewalt.

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