Legal Tech für Strafprozesse: App soll Beschuldigten bei Strafverfahren helfen

Veröffentlicht am in Legal Tech

Ein Legal-Tech-Startup entwickelt eine App, mit der Beschuldigte in einem Strafverfahren die gerichtlichen Abläufe besser verstehen. Hintergrund ist die hohe Hürde in Deutschland, um einen Pflichtverteidiger zu bekommen.

Um in Deutschland in einem Strafverfahren einen Pflichtverteidiger gestellt zu bekommen, muss das zu erwartende Strafmaß bei über einem Jahr liegen (§ 140 Strafprozessordnung). Wird eine geringere Strafe erwartet, muss sich der Beschuldigte eigenständig einen Anwalt für Strafrecht suchen und zahlen – oder sich selbst verteidigen. Nur in Ausnahmefällen wird auch bei einem geringen zu erwartenden Strafmaß ein Pflichtverteidiger gestellt. Im Jahr 2019 haben Amtsgerichte in Deutschland gegen rund 400.000 Menschen Anklage erhoben. Davon wurden jedoch nur rund 250.000 von einem Anwalt verteidigt; 140.000 Angeklagte waren nicht deutschsprachig.

Wer sich selbst verteidigt, bekommt selten eine geringere Strafe

Während Beschuldigte in Deutschland also erst ab einer zu erwartenden Strafe von einem Jahr einen Pflichtverteidiger an die Seite gestellt bekommen, gilt man bereits ab einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen als vorbestraft. Diese Vorstrafe kann sich negativ auf den weiteren Lebensweg des Verurteilten auswirken – etwa bei der Job- oder Wohnungssuche oder der Kreditvergabe.

Wer sich als juristischer Laie vor Gericht selbst verteidigt, hat statistisch gesehen schlechtere Chancen auf eine Abmilderung der Strafe, als Angeklagte, die von einem Anwalt vertreten werden. Gründe sind ein mangelhaftes Verständnis vom Ablauf eines Strafverfahrens, den Rechten und Pflichten eines Angeklagten und zum Teil auch schlechte Deutschkenntnisse. Die Ampelregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag immerhin festgehalten, dass sie „die Verteidigung der Beschuldigten mit Beginn der ersten Vernehmung“ sicherstellen möchte. Allerdings wird nicht erklärt, in welcher Form. Denn: Aus finanziellen und personellen Gründen wird es schwer, jedem Beschuldigten ab der ersten Vernehmung einen Verteidiger zu stellen. Schon jetzt arbeiten die Pflichtverteidiger an der Belastungsgrenze.

Legal Tech: App soll Beschuldigten Strafprozess erklären

Das Projekt read.your.rights. möchte mithilfe von Legal Tech Abhilfe schaffen. Das Team aus Studierenden und Promovierenden aus den Fachrichtungen Rechtswissenschaften, Informatik, Design und Wirtschaftswissenschaften entwickelt derzeit eine App, die Laien einen Zugang zu Abläufen, Rechten und Pflichten in einem Strafverfahren geben soll – unabhängig vom sprachlichen, kulturellen oder finanziellen Hintergrund des Beschuldigten.

Mithilfe der App sollen Betroffene polizeiliche, staatsanwaltliche und gerichtliche Dokumente einscannen können. Die Anwendung erkennt über eine Texterkennungssoftware (OCR) den Inhalt, gleicht diesen mit der Datenbank ab und ermittelt zum Beispiel die angedrohten Ermittlungsmaßnahmen oder das Verfahrensstadium. Die App gibt dann automatisch Erklärungen zum Prozess sowie Rechte und Pflichten in einfacher deutscher Sprache, in weiteren Sprachen und in Grafiken aus. Zusätzlich soll die App eine Stichwortsuche enthalten, über die der Nutzer Begriffe suchen und sich auf weitere Verfahrensschritte vorbereiten kann. So verstehen Beschuldigte ihre juristische Situation besser.

Die App kann ein sinnvolles Werkzeug sein, um sich als juristischer Laie über seine Rechte zu informieren, behördliche Schreiben zu verstehen und sich auf einen Prozess vorzubereiten. Ob sie eine anwaltliche Vertretung ersetzen kann, bleibt fraglich. Bei schweren Beschuldigungen sollten Betroffene dennoch einen Anwalt für Strafrecht aufsuchen, der den Fall prüft, Hinweise gibt und gegebenenfalls die komplexe Verteidigung vor Gericht und gegenüber den Ermittlungsbehörden übernimmt.

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