Am 28. April ist die neue Straßenverkehrsordnung (StVO) in Kraft getreten – und hat viel Kritik geerntet. Jetzt stellt sich heraus: Der neue Bußgeldkatalog ist wegen eines Formfehlers unwirksam! Das Bundesverkehrsministerium hat die Länder bereits aufgefordert, die neuen Bußgeldregelungen nicht anzuwenden. Es gelten also bis auf Weiteres wieder die alten Bußgeldhöhen und Geschwindigkeitsgrenzwerte. Die ersten Bundesländer haben die schärferen Fahrverbotsregeln schon zurückgenommen.
Nach der neuen StVO wären Fahrverbote innerorts bereits aber einer Überschreitung von 21 km/h und außerorts ab 26 km/h fällig, doch das dürfte jetzt wegen eines Formfehlers im Gesetzestext unwirksam sein.
Neue StVO-Gesetze „wahrscheinlich“ nichtig
Nachdem das Bundesverkehrsministerium den Landesverkehrsministerien gestern telefonisch mitgeteilt hat, dass die Fahrverbote der neuen StVO wegen eines „fehlenden Verweises auf die notwendige Rechtsgrundlage“ wahrscheinlich nichtig sind, hat das Saarland die schärferen Fahrverbotsregeln für Raser bereits gekippt. Auch Bayern und Niedersachsen nahmen die Verschärfungen zurück. „Der Bund hat die Länder aufgefordert, den bis zum 27.4.2020 geltenden Bußgeldkatalog ab sofort wieder anzuwenden“, so das Bundesverkehrsministerium gegenüber dem Bayerischen Rundfunk. Ab sofort gelten demnach wieder die alten Regelungen.
Was bedeutet „fehlende Rechtsgrundlage“?
Die StVO-Reform fand nicht per Gesetz statt, sondern per Verordnung – also ohne Beteiligung des Parlaments. Das ist möglich, setzt aber voraus, dass für Änderungen an dem Gesetz eine „Verordnungsermächtigung“ besteht, aus der sich ergibt, welche Gesetzesteile später durch welche Stellen im Verordnungsweg geändert werden dürfen. Dabei muss eine Verordnung die zu Grunde liegende Verordnungsermächtigung ausdrücklich benennen, das besagt das sogenannte Zitiergebot des Grundgesetzes.
In der Eingangsformel der StVO-Reform ist aber offenbar die Rechtsgrundlage für die neuen Schwellenwerte für Fahrverbote nicht genannt. Der Grund für diesen Formfehler: Die schnellen Fahrverbote waren im ursprünglichen Entwurf des Bundesverkehrsministeriums gar nicht enthalten und wurden der neuen StVO erst auf Drängen des Bundesrats hinzugefügt. Dabei wurde laut Markus Schäpe, dem Leiter der Rechtsabteilung des ADAC, vergessen, auch die Präambel der Änderungsverordnung entsprechend anzupassen.
§ 26a Abs.1 Nr. des Straßenverkehrsgesetzes
Konkret fehlt in der neuen Verordnung der Hinweis auf den § 26a Abs.1 Nr. des Straßenverkehrsgesetzes. Dort heißt es:
„Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Vorschriften zu erlassen über …
- die Erteilung einer Verwarnung (§ 56 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten) wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24,
- Regelsätze für Geldbußen wegen einer Ordnungswidrigkeit nach den §§ 24, 24a und § 24c,
- die Anordnung des Fahrverbots nach § 25.“
In der Ursprungsfassung der Reform war es nicht nötig, die Ermächtigung zur Änderung der Fahrverbotsschwellenwerte zu zitieren, weil die Änderung gar nicht vorgesehen war. Als sie später aufgenommen wurde, sei das Zitiergebot offenbar vergessen worden. Dieser Formfehler führt nach Auffassung von Verkehrsrechtsexperten zur Unwirksamkeit der verschärften Fahrverbote, möglicherweise sogar zur Unwirksamkeit der gesamten Reform.
Kommt die Reform der Reform?
Im Kern ging es bei der Reform der StVO um mehr Schutz für Fahrradfahrer und Fußgänger. In der neuen Fassung droht Fahrern bereits der Entzug des Führerscheins für einen Monat, wenn sie innerorts 21 km/h und außerorts 26 km/h zu schnell unterwegs sind. Gegen diese harten Sanktionen hatten neben dem ADAC auch viele Autofahrer protestiert. „Die deutliche Erhöhung der Bußgelder und das frühere Verhängen von Fahrverboten auch auf Autobahnen schießt über das Ziel hinaus,“ kommentierte ADAC-Verkehrspräsident Gerhard Hillebrand die neuen Regelungen. Vorher gab es Fahrverbote erst für Überschreitungen von mindestens 31 km/h innerorts und 41 km/h außerorts.
Der juristische Fehler könnte einfach durch die Ergänzung weniger Wörter behoben werden. Doch Bundesverkehrsminister Scheuer fand die Regelung zu den Fahrverboten für Raser selbst unverhältnismäßig und wollte sie wieder zurücknehmen. Von einer fehlenden Rechtsgrundlage war jedoch zunächst nicht die Rede. Dass die Reform aufgrund eines juristischen Fehlers jetzt ohnehin überarbeitet werden muss, könnte Scheuer dafür nutzen, diesen umstrittenen Teil der Regelungen wieder zu ändern.
Das Bundesverkehrsministerium arbeitet derzeit an einem Vorschlag zur Neuregelung, der den Ländern unterbreitet werden soll. Die müssen der Novelle der Novelle nämlich zustimmen.
Chaos im Verkehrsministerium
Der grüne Verkehrspolitiker Oliver Krischer empörte sich gegenüber dem Bayerischen Rundfunk über den unglaublichen Vorgang, „wenn Andi Scheuer eine monatelange mit dem Bundesrat verhandelte Regelung wieder ändern will, weil er jetzt sein Herz für Raser entdeckt hat“.
Oliver Luksic, FDP-Verkehrspolitiker, befürchtet ein Bürokratiechaos. Der Formfehler sei eine Schlappe für Verkehrsminister Scheuer. Luksic fordert den Bundesrat zum Handeln auf. Die „Führerscheinfalle“ müsse gekippt werden, damit bundesweit Rechtssicherheit geschaffen wird. Doch laut Krischer kann ein formaler Fehler des Verkehrsministers keine Begründung dafür sein, die Verordnung inhaltlich zu ändern. Der Vorgang erwecke wieder einmal den Eindruck, dass es unter der Verantwortung von Scheuer drüber und drunter gehe.
Die gute Nachricht zum Schluss: Wer seinen Führerschein wegen der neuen Regeln verloren hat, könnte ihn bald wieder zurückbekommen.
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