Zur Eindämmung gefährlicher Krankheiten wie COVID-19 darf der Staat Grundrechte beschränken. Ausgangssperren, Berufs- und Verweilverbote sind also zurzeit rechtlich möglich. Die rechtliche Grundlage für diese Maßnahmen bietet das Infektionsschutzgesetz (IfSG). Darin werden Schutzmaßnahmen zur Seuchenbekämpfung geregelt, die unter anderem die Versammlungsfreiheit und die Unverletzlichkeit der Wohnung beschränken. Auch die Bundesländer dürfen nach § 32 IfSG eigene Rechtsverordnungen erlassen, auf deren Grundlage unsere Grundrechte beschränkt werden. Aber manche Maßnahmen und Pläne führen zu staatlicher Willkür und zu Überwachung der Bürger.
Bestimmte Grundrechtsbeschränkungen waren bei uns vor wenigen Wochen noch undenkbar und erinnern an totalitäre Staaten: Lautsprecherwagen fordern die Menschen auf, zu Hause zu bleiben, Autofahrer werden an Straßensperren kontrolliert und Parkbesucher dürfen nicht auf Bänken sitzen.
Maßnahmen müssen verhältnismäßig sein
Der Staat darf nur in unsere Grundrechte eingreifen, wenn die Anordnungen verhältnismäßig sind. Die Maßnahme muss konkret dazu dienen, die Pandemie zu begrenzen und Leben zu retten. Sie darf auch nur Menschen betreffen, die wirklich eine Gefahr darstellen. Nicht alle Maßnahmen, die zum Infektionsschutz getroffen werden, sind automatisch rechtmäßig.
Die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger schrieb dazu in der WELT: „Aus medizinischer Sicht mögen all diese Maßnahmen notwendig sein, aus demokratischer Sicht geben sie Anlass zur Sorge“. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass unsere Grundrechte relativiert werden, wenn sie sich gerade bewähren müssten.
Auch Professor Thorsten Kingreen von der Universität Regensburg fordert auf dem Verfassungsblog die „unbedingte Bereitschaft, unseren demokratischen Rechtsstaat gerade in dieser außerordentlichen Situation vor einem ‚Whatever it takes‘ zu bewahren“. Sonst werde bei anderen Krisen schnell zu hören sein, dass wir das bei Corona doch auch so gemacht haben.
Manche Verordnungen könnten illegal sein
Ausgangssperren sind sicher grundsätzlich sinnvoll. Körperliche Distanz hilft, die Verbreitung von Viren zu verlangsamen. Aber über einige Verordnungen muss diskutiert werden, denn manche Maßnahmen gehen zu weit, sind rechtlich unscharf und teilweise wahrscheinlich sogar illegal. In einigen Städten gelten zum Beispiel Verweilverbote: Bewegung an der Luft ist weiter erlaubt, draußen sitzen aber nicht. Das ist nicht nachvollziehbar: Was spricht dagegen, allein in der Sonne zu sitzen? Wen kann man dabei anstecken?
In Berlin muss jetzt jeder ständig einen Personalausweis dabeihaben – oder einen anderen amtlichen Lichtbildausweis „nebst einem Dokument, aus dem die Wohnanschrift der Person ersichtlich ist“. Für eine solche Ausweispflicht gibt es aber keine Rechtsgrundlage, stellt der Staats- und Ordnungsrechtler Clemens Arzt fest, der auch an einer Polizeihochschule lehrt: „Das ist aus meiner Sicht grob rechtswidrig. Auf einer Bank zu sitzen begründet nicht, warum ich einen Ausweis vorzeigen müsste“, sagte er. Polizeibeamte hätten seiner Ansicht nach in einem solchen Fall keine Kontrollbefugnis. Zwar habe die Polizei im Rahmen der Coronakrise neue Befugnisse bekommen, die Anwendung dieser Befugnisse sei aber sei in der Regel wohl nicht rechtmäßig.
Was ist ein Wohnumfeld?
In Paragraf 14 der Berliner Verordnung heißt es: „Im Stadtgebiet von Berlin (…) befindliche Personen haben sich (…) ständig in ihrer Wohnung (…) aufzuhalten.“ Wer nach draußen geht, muss gegenüber der Polizei und den zuständigen Ordnungsbehörden Gründe angeben. Aber was genau ist ein triftiger Grund, die Wohnung zu verlassen? Spaziergänge sind ja angeblich noch erlaubt. Wie lange darf der Spaziergang dauern? Wie weit darf man sich von der Wohnung entfernen oder wie beweist man, dass man gerade einkaufen wollte? Dazu sagt die Verordnung nichts.
In Sachsen ist die Bewegung an der frischen Luft nur „im Umfeld des Wohnbereichs“ erlaubt. Aber was ein Wohnbereich oder ein Umfeld sind, wird nicht definiert. Und warum darf man eigentlich sein „Wohnumfeld“ nicht verlassen? Anstecken kann man sich und andere Menschen schließlich überall. Die Polizisten und Polizistinnen „dürfen“ das entscheiden – und der Willkür sind Tür und Tor geöffnet. Was der eine Beamte erlaubt, kann der nächste verbieten. Doch genau solche Willkürakte darf es in einem Rechtsstaat nicht geben.
Die Regierungen haben zurzeit die schwierige Aufgabe, alles zu tun, um die Corona-Pandemie einzudämmen und die Menschen zu schützen. Aber an manchen Stellen sind die Verordnungen nicht nachvollziehbar und möglicherweise auch nicht legal.
Was passiert, wenn man sich nicht an die Anordnungen hält?
Zur Durchsetzung der Maßnahmen des Infektionsschutzgesetzes wie Quarantäne oder Berufsverbot sieht das Gesetz sowohl Bußgelder als auch Strafen vor. Nach § 73 IfSG handelt es sich zum Beispiel um eine Ordnungswidrigkeit, wenn keine oder fehlerhafte Angaben zum Gesundheitszustand gemacht werden und die Beobachtung der Behörde erschwert wird. Wird eine Quarantäneanordnung oder ein Berufsverbot nicht befolgt, gilt das sogar als Straftat nach § 74 IfSG. Der Verstoß wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft, wenn der Krankheitserreger dadurch verbreitet wird.