Die von der Bundesregierung vorgeschlagene verbindliche Gutscheinlösung für stornierte Flüge ist nicht im Sinne der EU-Kommission, hieß es lange aus Brüssel. Passagiere müssten keine Gutscheine akzeptieren, wenn ihr Flug ausfalle. EU-Verkehrskommissarin Adina Valean stellte klar dass die EU-Fluggastrechte auch während der Corona-Krise gelten. Unterstützt die EU-Kommission jetzt doch eine Gutscheinlösung?
Nach geltendem EU-Recht müssen Pauschalreisen und Flugtickets zeitnah erstattet werden. Die Bundesregierung will jedoch eine verpflichtende Gutscheinlösung, um die Liquidität von Firmen zu sichern. Einer solchen Lösung muss Brüssel allerdings zustimmen. Doch die EU-Kommission ist im Konflikt über Gutscheine für abgesagte Reisen trotz des Drängens aus Berlin lange standhaft geblieben.
Langes Warten auf Erstattung
Zurzeit werben Airlines wie Lufthansa und Easyjet bei ihren Kunden intensiv für die Möglichkeit, einen Gutschein statt einer Erstattung zu wählen – teilweise verbunden mit einem Bonusangebot. Laut Easyjet wird die Gutscheinoption von vielen Kunden angenommen. Das kann aber auch daran liegen, dass die Erstattungsmöglichkeit auf der Website viel schlechter zu finden ist als der Gutscheinantrag. Außerdem kann die Auszahlung aufgrund der Masse an Anträgen Monate dauern. Eine Rückerstattung ist aber grundsätzlich möglich.
EU-Kommission gegen Zwangsgutscheine
In einem Schreiben an mehrere Bundesminister, das im ARD-Hauptstadtstudio zitiert wurde, bleiben Adina Valean und EU-Justizkommissar Didier Reynders bei ihrer Position, dass die EU-Fluggastrechte verbindlich sind – auch während der Corona-Krise. Kein Fluggast könne gezwungen werden, einen Gutschein anstelle einer Rückerstattung anzunehmen. Es sei der EU-Kommission wichtig, an den gemeinsamen Verbraucherrechten festzuhalten und den Fluggesellschaften bei Liquiditätsproblemen auf andere Weise helfen. Statt verpflichtender Gutscheine könne man Gutscheine für Verbraucher wirtschaftlich interessant machen und sie gegen Insolvenz absichern.
Zwei Minister und eine Ministerin hatten versucht, die entsprechende EU-Verordnung aufzuweichen: Anfang April hatten Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) einen gemeinsamen Brief an die EU-Verkehrskommissarin geschickt. Anlass für das Schreiben war die Diskussion um stornierte Flüge wegen der Corona-Krise abgesagt hatten. Die Luftfahrtindustrie hat sich für Gutscheine statt Erstattungen stark gemacht, doch Verbraucherschützer beharrten darauf, dass so eine Gutscheinlösung nur auf freiwilliger Basis infrage käme.
Diese Freiwilligkeit wollten die Minister außer Kraft setzen: „Um einen weiteren existenzgefährdenden Liquiditätsabfluss bei den Luftfahrtunternehmen zu verhindern, wäre es zielführend, wenn die Europäische Kommission temporär auch ohne Zustimmung des Fluggastes eine Ausgabe von Gutscheinen statt Rückerstattung durch die Luftfahrtunternehmen ermöglicht“, so der Wortlaut des Schreibens.
In diversen Interviews und in ihrer Antwort an Scheuer, Altmaier und Lambrecht verweist Valean auf viele Zuschriften von frustrierten Passagieren, die sie bekommen habe und „die zurecht eine mangelnde Rückerstattungspolitik der Fluggesellschaften anmahnen“. Der EU-Kommission sei es daher wichtig, an ihren Verbraucherrechten festzuhalten und „den Fluggesellschaften bei Liquiditätsproblemen auf andere Weise zu helfen.“ Das bedeutet: Es darf keine Zwangsgutscheine geben.
Schnelle Lösung für die Reisebranche gesucht
Der Tourismusbeauftragte der Bundesregierung, Thomas Bareiß, bedauerte die Reaktion der EU-Kommission: „Wir haben die Antwort der Europäischen Kommission auf unsere Vorschläge zur Kenntnis genommen. Die Europäische Kommission sieht keinen Raum für die von uns vorgeschlagenen Gutschein-Lösungen. Das bedauere ich sehr.“ Weil sich die Lage von Tag zu Tag zuspitze, brauche man aber schnell eine Lösung im Sinne der ganzen Reisebranche und der betroffenen Kunden.
Angesichts der Absage der EU-Kommission an verpflichtende Reisegutscheine rückt die SPD jetzt von einer Gutscheinlösung für stornierte Reisen ab. „Die Zwangsgutscheine werden nicht kommen, weil wir keinen nationalen Alleingang machen werden“, so der rechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Fechner, gegenüber dem Handelsblatt. Die Zwangsgutscheine seien damit vom Tisch.
Alternativ könnte man mit einem staatlich finanzierten Fonds Reisegelder zurückerstatten, so Fechner. Der Sicherungsfonds würde innerhalb einer bestimmten Frist von der betroffenen Reisebranche selbst wieder aufgefüllt, „damit die Kosten nicht am Steuerzahler hängenbleiben“. Jetzt müsse der Bundeswirtschaftsminister einen entsprechenden Regelungsvorschlag präsentieren.
Kommt die Gutscheinlösung doch?
Im Bundesverkehrsministerium hat man jedoch weiterhin auf eine Art verpflichtenden Gutschein gehofft. Auch viele der EU-Mitgliedstaaten sprachen sich dafür aus. Gestern hat die EU-Kommission teilweise eingelenkt und ist jetzt offenbar bereit, eine Gutschein-Lösung zumindest zu unterstützen.
Letzte Woche sah es noch so aus, als sei die Gutschein-Regelung vom Tisch. Doch gestern berichtete die Nachrichtenagentur Reuters, die Kommission wolle den EU-Staats- und Regierungschefs vorschlagen, dass Reiseunternehmen statt einer sofortigen Rückerstattung der Reisekosten auch Gutschriften ausstellen können.
Airlines und Reiseanbieter sollen den Kunden in ihren Gutscheinen die gleichen Flug- und Reisebedingungen gewähren wie in der ursprünglichen Buchung. Die Gutscheine müssten mindestens ein Jahr gültig sein. Werden sie in dieser Zeit nicht eingelöst, muss der Veranstalter das Geld erstatten. Die Mitgliedsstaaten sollen morgen aufgefordert werden, die Gutscheine zu garantieren. So würden Kunden ermutigt, nicht auf einer Rückzahlung zu bestehen, heißt es in dem EU-Papier.