Die deutsche Bahn soll einem Whistleblower nach Hinweisen auf einen groß angelegten Betrug im Zusammenhang mit dem Großprojekt Stuttgart 21 gekündigt haben. Das geht aus einem Bericht der Financial Times hervor, der am 24. November 2021 veröffentlicht wurde. Die britische Wirtschaftszeitung behauptet, das Projekt könnte vor allem durch Korruption teurer geworden sein als ursprünglich geplant. Der baden-württembergische Verkehrsminister fordert Aufklärung und die Staatsanwaltschaft prüft den Fall.
Beim Bau von „Stuttgart 21“ sollen sich zwei Ingenieure im Jahr 2016 an die Compliance-Abteilung der Deutschen Bahn gewandt haben. Einer der beiden Hinweisgeber kam 1997 zur Deutschen Bahn und war auf Kostenverteilung spezialisiert. Die Whistleblower warfen leitenden Angestellten erfolglos den Missbrauch von Firmengeldern vor. Sie hätten im Rahmen eines groß angelegten Betrugs bei einem der größten Infrastrukturprojekte Europas unnötig teure Aufträge vergeben.
Whistleblower wurde abgemahnt und gekündigt
Die Vorwürfe der Ingenieure waren in einem vierseitigen Memo zusammengefasst, das auf den 11. Juli 2016 datiert war. Einer der beiden Whistleblower wirft dem Unternehmen vor, seine Identität sei im Laufe der Ermittlungen leitenden Angestellten bekannt gemacht worden – ohne seine Zustimmung. Kurz darauf wurde er mehrfach wegen Kleinigkeiten abgemahnt und im Dezember 2016 schließlich gekündigt. Ihm wurde unter anderem vorgeworfen, Krankschreibungen zu spät eingereicht zu haben.
Nach einem mehrmonatigen Verfahren erklärte das Arbeitsgericht Stuttgart die ausgesprochenen Kündigungen für unwirksam und der Whistleblower musste wiederbeschäftigt werden. Die Deutsche Bahn sprach daraufhin wegen des zerrütteten Vertrauensverhältnisses erneut eine Kündigung aus, die schließlich vor Gericht Bestand hatte. Aus Angst vor Repressalien brach der zweite Whistleblower den Kontakt zur Compliance-Abteilung ab. Er arbeitet noch immer für das Unternehmen.
Stuttgart 21: Unnötige Kosten in Höhe von 600 Millionen Euro
Die Financial Times schreibt, ein Informant habe erklärt, das angebliche Fehlverhalten der Deutschen Bahn habe unnötige Kosten in Höhe von 600 Millionen Euro verursacht. Als Beispiel nennt er ein ungeplantes Umspannwerk, das für rund zweieinhalb Millionen Euro in Auftrag gegeben werden sollte, obwohl es eine Alternativlösung gab, die nur 30.000 Euro gekostet hätte. Der Whistleblower weigerte sich, den teuren Auftrag zu vergeben. Die Verlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofs unter die Erde und die neue Hochgeschwindigkeitsstrecke von Wendlingen nach Ulm sollten ursprünglich rund 2,5 Milliarden Euro kosten. Mittlerweile werden die Kosten auf acht bis zwölf Milliarden Euro geschätzt.
Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann von den Grünen fordert Aufklärung und Informationen von der Deutschen Bahn. „Wir zahlen ja fast eine Milliarde Euro bei der Neubaustrecke und fast eine Milliarde Euro bei Stuttgart 21. Da haben wir schon das Interesse zu wissen, wo das Geld hinkommt und ob alles rechtmäßig ausgegeben wurde“, erklärte der Politiker gegenüber dem SWR. Es könne sein, dass an der Sache was dran ist, es könne aber auch sein, dass nichts dran ist. „Aber wir wollen aufgeklärt werden“, so Hermann.
Ein Sprecher der Deutschen Bahn versichert: „Der Fall wurde von unserer Konzernsicherheit untersucht, dabei konnte keiner der Vorwürfe bestätigt werden.“ Großprojekte wie Stuttgart 21 seien anfällig für Korruption und Betrug. Das Management der Deutschen Bahn habe deswegen bei der DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH „diverse Mechanismen installiert, die wirksam Vorfälle im Bereich der Korruption und Wirtschaftskriminalität verhindern.“
Neue Whistleblower-Richtlinie ab dem 18. Dezember 2021
Der Fall zeigt, wie wichtig eine möglichst großzügige Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie ist. Ein erster Entwurf war im Frühjahr 2021 am Widerstand von Teilen der Union gescheitert, denen die Umsetzung der Richtlinie zu weitgehend erschien. Nach der Hinweisgeber-Richtlinie hätte die Identität der Whistleblower dem Management gegenüber nicht aufgedeckt werden dürfen, weil Hinweisgeber einen Anspruch auf Anonymität haben. Der Whistleblower hätte dann Schutz vor Schikanen wie plötzlichen Abmahnungen und der daran anschließenden Kündigung gehabt. Die Deutsche Bahn müsste nachweisen, dass die Abmahnungen und die anschließende Kündigung in keinem Zusammenhang mit den Hinweisen durch den Whistleblower stehen.
Laut Koalitionsvertrag der Ampelkoalition soll die Whistleblower-Richtlinie rechtssicher umgesetzt werden. Hinweisgeber sollen sowohl geschützt werden, wenn sie Verstöße gegen das EU-Recht melden, als auch bei Missständen, deren Aufdeckung im öffentlichen Interesse liegt. Alle Behörden und Gemeinden sind ab dem 18. Dezember 2021 zur Umsetzung der Hinweisgeber-Richtlinie verpflichtet.
Weitere Informationen zur neuen Whistleblower-Richtlinie finden Sie auf WhistlePort. Gern können Sie uns auch telefonisch kontaktieren: 030 – 200 590 77 200. Wir beraten Sie zu den datenschutzrechtlichen Auflagen der EU-Hinweisgeber-Richtlinie.