Das Corona-Virus beschäftigt uns seit Monaten und hat auch die Arbeitswelt gründlich verändert: Viele Unternehmen mussten schließen und ihre Mitarbeiter nach Hause schicken. Wer trotz Corona Arbeitnehmer im Betrieb beschäftigt, muss aufgrund des SARS-CoV2-Arbeitsschutzstandards massive Schutzmaßnahmen ergreifen, denn Mitarbeiter haben Anspruch auf Infektionsprävention. Aber was, wenn sich Arbeitnehmer bei der Arbeit infizieren – wer haftet dann?
Wenn sich Mitarbeiter am Arbeitsplatz mit dem Corona-Virus infizieren, hat der Arbeitgeber ein Problem; das zeigt das Beispiel Tönnies besonders eindrucksvoll. Über 1400 Mitarbeiter des Schlachthofs haben sich allein im Werk in Rheda-Wiedenbrück angesteckt – der größte Corona-Ausbruch seit dem Lockdown in Europa.
Zivilrechtlich haftet der Arbeitgeber nicht
Grundsätzlich ist der Arbeitgeber verpflichtet, Leben und Gesundheit der Arbeitnehmer zu schützen. Bei Unfällen im Unternehmen, zahlt normalerweise die gesetzliche Unfallversicherung. Der Arbeitgeber haftet bei Personenschäden nur bei vorsätzlichem Handeln – nicht für fahrlässig verursachte Verletzungen.
Eine zivilrechtliche Haftung des Arbeitgebers für Personenschäden am Arbeitsplatz ist durch die Regelungen zur gesetzlichen Unfallversicherung ausgeschlossen. Kommt es am Arbeitsplatz zu einer Gesundheitsverletzung des Arbeitnehmers, haften für den sogenannten Personenschaden und die damit verbundenen Vermögensschäden – wie Heilungs- und Therapiekosten, Verdienstausfall und entgangener Unterhalt – die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, nicht der Arbeitgeber (§ 104 SGB VII).
Ist Corona ein arbeitsplatzspezifisches Risiko?
Der Spitzenverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften und der Unfallkassen, die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), lehnen es allerdings ab, für Schäden aufzukommen, die auf eine Infektion mit Covid-19 am Arbeitsplatz zurückzuführen sind. Als Pandemie sei diese Erkrankung nicht als arbeitsplatzspezifisches Risiko einzustufen, sondern als eine Allgemeingefahr. Es könne nicht mehr von einer Gefahr die Rede sein, die sich ausschließlich auf die Tätigkeit am Arbeitsplatz konkretisieren ließe.
Fraglich ist dabei jedoch, warum es sich nicht um ein arbeitsplatzspezifisches Risiko handelt, wenn sich eine große Zahl von Arbeitnehmern im Betrieb mit dem Virus infiziert. Die Sozialgerichte haben noch nicht abschließend geklärt, wie die Rechtslage bei Corona-Infektionen am Arbeitsplatz aussieht. Daher gehen Arbeitgeber das Risiko ein, selbst bei nur fahrlässigem Verhalten für Personenschäden infolge von Covid-19-Erkrankungen haften zu müssen. Wenn infizierte Arbeitnehmer nicht nach Hause geschickt oder Sicherheitsabstände nicht überwacht werden, ist jedenfalls eine Haftung wegen bedingten Vorsatzes denkbar.
Schutzmaßnahmen dringend empfohlen
Grundsätzlich muss jeder Arbeitsplatz einer Gefährdungsbeurteilung unterzogen werden. Bei Betrieben mit mehr als 20 Arbeitnehmern ist dafür ein Arbeitsschutzausschuss mit einer Fachkraft für Arbeitssicherheit, einem Sicherheitsbeauftragten, zwei Betriebsratsmitgliedern, dem Betriebsarzt und dem Arbeitgeber zu bilden.
Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat im April den „Arbeitsschutzstandard Covid-19“ vorgelegt. Darin ist festgelegt, was im Hinblick auf Covid 19 beachtet werden muss. Es wird zum Beispiel geraten, Mehrfachbelegungen von Räumen zu vermeiden und Büroarbeiten möglichst ins Homeoffice zu verlegen. Zwar handelt es sich bei diesem Standard noch nicht um eine Verordnung oder ein Gesetz, aber er sollte von Arbeitgebern als dringende Empfehlung betrachtet werden. Auch die Empfehlungen des Robert Koch-Instituts (RKI) und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) sollten Arbeitgeber unbedingt beachten.
Gefährdungen am Arbeitsplatz verhindern
Im Rahmen seiner allgemeinen Fürsorgepflicht muss der Arbeitgeber das Wohl und die berechtigten Interessen der Arbeitnehmer berücksichtigen und Schäden beim Arbeitnehmer verhindern. Seit Beginn der Corona-Pandemie besteht deshalb die Pflicht zu Vorsichtsmaßnahmen und zur Aufklärung.
Arbeitgeber müssen sich also ständig auf dem Laufenden halten, die Informationen des Robert-Koch-Instituts verfolgen und aktuelle Meldungen an die Mitarbeiter weitergeben. Sie sind verpflichtet, ihre Mitarbeiter über Entstehung und Symptome der Infektion aufzuklären und sie auffordern, mitzuteilen, wenn sie innerhalb der letzten 14 Tage mit (möglicherweise) Infizierten Kontakt hatten oder trotz Reisewarnung in einer gefährdeten Gegend waren. Dienstreisen müssen abgesagt oder verschoben werden.
Mitarbeiter haben Anspruch auf Infektionsprävention
Der Arbeitgeber muss sich um die Einhaltung der Abstandsregeln am Arbeitsplatz kümmern und dafür sorgen, dass Desinfektionsmittel zur Verfügung stehen. Sämtliche Betriebsabläufe sollen so organisiert werden, dass die Ansteckungsgefahr auf ein Minimum reduziert wird. Geschieht das nicht, kann der Arbeitnehmer sich weigern, zur Arbeit zu kommen (§ 273 Abs. 1 BGB), denn er hat einen Anspruch auf Infektionsprävention. Die Nichteinhaltung der Präventionsmaßnahmen bedeutet Annahmeverzug des Arbeitgebers und führt zur Lohnfortzahlungspflicht (§ 615 S. 1 BGB).
Besondere Rücksicht muss der Arbeitgeber auf Mitarbeiter nehmen, die zu Risikogruppen gehören. Dazu zählen über 60-Jährige und Mitarbeiter mit Vorerkrankungen. In diesen Fällen ist individuell zu prüfen, ob am Arbeitsplatz im Betrieb besonderen Schutzmaßnahmen durchgeführt werden können oder ob Homeoffice möglich ist.
Corona-Verdacht im Unternehmen – was tun?
Wegen der hohen Ausbreitungsgefahr des Corona-Virus ist eine Infektion meldepflichtig. Bei Verdachtsfällen besteht also dringender Handlungsbedarf. Der betroffene Mitarbeiter muss separiert und möglichst umgehend getestet werden. Außerdem ist die zuständige Gesundheitsbehörde zu informieren.
Dann müssen die Kontaktpersonen des möglicherweise Infizierten ermittelt und ebenfalls zum Covid-19-Test geschickt werden. Für die übrigen Arbeitnehmer werden Schutzmaßnahmen getroffen. Im schlimmsten Fall ist der Betrieb zu schließen und alle Mitarbeiter müssen nach Hause geschickt werden, bis die Gefahr vorbei ist. Wenn die Arbeitnehmer arbeitsfähig und arbeitsbereit sind, besteht Lohnfortzahlungspflicht und die ausgefallene Arbeitszeit muss nicht nachgearbeitet werden.
Kommt der Arbeitgeber seiner Schutz- und Fürsorgepflicht laut § 618 Bürgerliches Gesetzbuch nicht nach, kann das problematisch werden. Wenn nicht alle erforderlichen Maßnahmen zum Schutz vor der Infektion ergriffen wurden und sich mehrere Mitarbeiter bei der Arbeit anstecken, liegt eine Haftung des Arbeitgebers nahe. Möglicherweise macht er sich sogar strafbar – bis hin zu fahrlässiger Körperverletzung oder sogar fahrlässiger Tötung.