Wegweisendes EuGH-Urteil zum Thermofenster: Weitere Klagewelle im Dieselskandal rollt an

Veröffentlicht am in Abgasskandal

Am Europäischen Gerichtshof (EuGH) wurde heute im Verfahren C-693/18 eines der wichtigsten Urteile im Dieselskandal verkündet. Die Richter in Luxemburg haben entschieden, wann Abschalteinrichtungen wie das sogenannte Thermofenster illegal sind. Das Thermofenster ist eine von mehreren Abschaltvorrichtungen, um die seit Beginn des Abgasskandals vor zahlreichen deutschen Gerichten gestritten wird. Das Urteil ist für fast alle Autohersteller relevant: Neben VW, Audi, Skoda, Seat, Porsche, Daimler und BMW haben auch Fiat und Iveco ihre Fahrzeuge mit Hilfe dieser Abschalteinrichtung manipuliert.

Argument Motorschutz rechtfertigt Abschalteinrichtung nicht

Volkswagen und Daimler bestreiten die Nutzung des Thermofensters nicht, halten die Abschalteinrichtung aber für zulässig. Sie diene dem Motorschutz. Verbraucherschützer sehen in der Abschalteinrichtung dagegen eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB, auf deren Grundlage Dieselfahrer Schadensersatzansprüche gegen die Autobauern geltend machen können. Das sehen auch die Richter am EuGH so.

In einer Pressemitteilung gab der EuGH bekannt, dass ein Hersteller keine Abschalteinrichtung einbauen darf, „die bei Zulassungsverfahren systematisch die Leistung des Systems zur Kontrolle der Emissionen von Fahrzeugen verbessert, um ihre Zulassung zu erreichen“. Die Tatsache, dass eine solche Abschalteinrichtung dazu beitrage, den Verschleiß oder die Verschmutzung des Motors zu verhindern, könne ihr Vorhandensein nicht rechtfertigen.

Der Hintergrund des EuGH-Urteils zum Thermofenster

Hintergrund des EuGH-Urteils ist ein Verfahren gegen Volkswagen in Frankreich. Das Tribunal de Grande Instance de Paris will vom EuGH wissen, ob die von den Herstellern angeführte Ausnahme Motorschutz so ausgelegt werden kann, dass Abschalteinrichtungen zur Regel werden. Dem Verfahren haben sich 1200 Nebenkläger angeschlossen. Laut der EG-Verordnung 715/2007 muss jeder Hersteller sein Fahrzeug mit der Abgasnorm Euro 5 und Euro 6 so konstruieren, dass die zulässigen Emissionswerte im Straßenbetrieb eingehalten werden. Abschalteinrichtungen sind demnach unzulässig – außer sie dienen zum Schutz des Motors.

Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens wurde ein technisches Gutachten erstellt, das ergab, dass die fraglichen Fahrzeuge über eine Einrichtung verfügen, durch die die Phasen der Zulassungstests erkannt werden können. Die Abgasreinigung wird dann so angepasst, dass die vorgeschriebene Emissionsobergrenze auf dem Prüfstand eingehalten wird. Im normalen Fahrbetrieb wird das AGR-System aber teilweise deaktiviert, was zu einer Erhöhung der NOx-Emissionen führt. Die Fahrzeuge hätten laut Gutachter erheblich weniger NOx erzeugt, wenn das AGR-System bei realem Fahrbetrieb so funktioniert hätte wie bei den Zulassungstests. Allerdings wären dann unter anderem wegen einer schnelleren Verschmutzung des Motors häufigere und kostspieligere Wartungsarbeiten erforderlich.

Richter folgten dem Antrag der Generalanwältin

Am 30. April dieses Jahres hatte sich die Generalanwaltin des EuGH Eleanor Sharpston in ihrem Schlussantrag bezüglich des Thermofensters bereits sehr verbraucherfreundlich positioniert. Sie bewertete alle Abschalteinrichtungen als illegal, wenn die Fahrzeuge dadurch im normalen Straßenbetrieb mehr Schadstoffe ausstoßen als auf dem Prüfstand. Dem Argument der Autohersteller, dass Abschalteinrichtungen dem Motorschutz dienen, steckte sie sehr enge Grenzen. Zum Schutz des Motors sei eine Abschalteinrichtung zwar zulässig, diese Ausnahme könnte aber nur dann gelten, wenn „die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten“.

Die Ausnahme gilt nach Ansicht der Generalanwältin demnach nur für den Schutz des Motors vor dem Eintreten von unmittelbaren und plötzlichen Schäden – und nicht vor langfristigeren Auswirkungen wie Abnutzung oder Wertverlust. Genau damit hatten die meisten Hersteller vor Gericht aber argumentiert. Diese Begründung lassen die Richter des Europäischen Gerichtshofs jetzt nicht mehr gelten.

Geschädigte im Dieselskandal sollten Schadensersatz fordern

Dass VW beim Dieselmotor EA189 die Abgasreinigung unzulässig manipuliert hat, hat der Bundesgerichtshof bereits am 25. Mai 2020 festgestellt und VW aufgrund vorsätzlicher und sittenwidriger Täuschung verurteilt. Das EuGH-Urteil hat jetzt die Rechtslage in Bezug auf weitere Automarken und -modelle geklärt, die das Thermofenster nutzen.

„Die EuGH-Entscheidung versetzt der Autoindustrie einen schweren Schlag. Viele Verbraucher können und werden dieses Urteil für sich nutzen und ihr Recht auf Schadensersatz geltend machen. Das gilt sowohl für VW-Fahrer als auch für Halter von Mercedes-Fahrzeugen“, kommentiert Johannes von Rüden, Rechtsanwalt und Partner der Verbraucherrechtskanzlei VON RUEDEN, die Entscheidung aus Luxemburg.

Den Autokonzernen droht eine weitere Rückruf- und Klagewelle

Mehr als fünf Jahre seit dem Bekanntwerden der Abgasmanipulationen ist ein Ende des Skandals weiterhin nicht absehbar. Allein in Deutschland sind mehrere Millionen Fahrzeuge mit Abschalteinrichtungen zugelassen worden, die von den verantwortlichen Herstellern zurückgerufen werden müssen, um die gesetzlich geforderte Abgasreinigung zu gewährleisten.

Der Autobranche droht jetzt erneut eine gewaltige Klagewelle. „Dieses Urteil hat sogar noch mehr Strahlkraft als die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25. Mai 2020, das VW im Abgasskandal zu Schadensersatz verurteilt hat. Denn: Das EuGH-Urteil gilt für Verbraucher in der gesamten EU. Das Autoland Deutschland kann sich auf eine weitere, massive Klagewelle im Dieselskandal einstellen“, so Johannes von Rueden weiter. Aufgrund der Masse an betroffenen Dieselbesitzern dürften jetzt weitere Entschädigungsforderungen in Milliardenhöhe auf die Automobilindustrie zukommen.

Die Verbraucherrechtskanzlei VON RUEDEN hat sich auf Fälle im Abgasskandal spezialisiert und kämpft bundesweit für die Rechte von Autofahrern. Die Kanzlei vertritt mehr als 12.000 Mandanten gegen die deutschen Autobauer. In unserer kostenlosen Erstberatung erfahren betroffene Dieselbesitzer, ob sich eine Klage in ihrem individuellen Fall lohnt. Kontaktieren Sie uns!

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