Sensationsurteil des OLG Wien: Thermofenster ist ein Mangel

Veröffentlicht am in Abgasskandal

Wien – Neue Hoffnung für die Sammelkläger im Dieselskandal: Die Richter des Oberlandesgerichts (OLG) Wien haben klargestellt: Auch das neu programmierte „Thermofenster“, das die Abgasreinigung auf einen bestimmten Temperaturbereich einschränkt, ist ein grundsätzlicher Mangel. Damit fehle nämlich bei den betroffenen Fahrzeugen die Eignung für die gewöhnliche Verwendung, so die Richter.

Allein in Österreich wurde die Abgasreinigung von mehr als 388.000 Dieselfahrzeugen durch ein Software-Update von Volkswagen „repariert“. Doch das reicht dem Senat des OLG Wien nicht aus. Mit der aufgespielten neuen Motorsteuerungs-Software sei der Mangel des Fahrzeugs nicht behoben, heißt es in dem Teilurteil. Auch nach dem Software-Update sind die Abgase nicht „sauber“ – es wurde nämlich ein sogenanntes Thermofenster eingebaut.

Das Thermofenster wurde zwar von der deutschen Prüfbehörde – dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) – genehmigt, doch diese Genehmigung sei nur ein „Verwaltungsakt zwischen den Beteiligten des dortigen Verfahrens“. Gerichte hätten jetzt die Aufgabe, die Frage zu klären, ob diese Abschalteinrichtung zulässig sei, so das OLG Wien in seinem Urteil.

Thermofenster: Abgasreinigung bei bestimmten Temperaturen abgeschaltet

Der Hintergrund: Dieselmotoren der neuen Generation schalten die Abgasreinigung ab, wenn die Außentemperatur unter 15 Grad oder über 33 Grad liegt. Das ist aber in Österreich für über die Hälfte des Jahres der Fall. Außerhalb dieses Temperaturfensters wird die Abgasreinigung vermindert oder sogar ganz abgeschaltet.

Auf den Prüfständen wurde diese Abschalteinrichtung zunächst nicht bemerkt, weil in Prüfsituationen bislang Temperaturen um die 25 Grad vorgeschrieben waren. Es laufen bereits zahlreiche Verfahren wegen des Thermofensters. Die Urteile dazu werden in Kürze erwartet.

Verbieten die Behörden den Betrieb dieser Diesel?

Die Richter argumentierten zum Thermofenster, dass Behörden den Betrieb dieser Fahrzeuge jederzeit verbieten könnten. Schon „die latent bestehende Gefahr einer Betriebsuntersagung oder -beschränkung durch die Zulassungsbehörde hat aus kaufrechtlicher Sicht zur Folge, dass bei den betroffenen Fahrzeugen die Eignung für die gewöhnliche Verwendung fehlt“, so die Begründung des Urteils.

Außerdem habe VW nicht bewiesen, dass der Motor ausschließlich durch diese Abschaltung geschützt werden kann. Es fehle also der Nachweis der Notwendigkeit dieser Abschaltung. Das OLG sieht auch keinen Grund, den Europäischen Gerichtshof (EuGH) im Rahmen einer Vorabentscheidung zu befragen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, die Revision beim Obersten Gerichtshof (OGH) wurde zugelassen.

Sensationsurteil zum Thermofenster

Der Anwalt der Klägerin, Michael Poduschka, spricht von einem „Sensationsurteil in mehrfacher Hinsicht“. In Österreich sei es seines Wissens das erste Mal, dass das „Thermofenster“ grundsätzlich als Mangel bewertet werde. In Deutschland gebe es schon entsprechende erstinstanzliche Urteile, aber auch noch kein Urteil eines Oberlandesgerichts. „Wir sind damit wahrscheinlich europaweit die ersten“, so Poduschka.

Zudem gebe es solche Thermofenster laut Sachverständigen praktisch bei allen Fahrzeugherstellern. Es könnten also die Besitzer sämtlicher betroffenen Marken auf die Rückabwicklung ihrer Autokäufe klagen.

Die von Poduschka vertretene Klägerin nach diesem Urteil ihren 2014 gekauften Audi Q3 zurückgeben und den Kaufpreis zurückverlangen – abzüglich einer Nutzungsgebühr. Zur Berechnung der Nutzungsgebühr regte das Gericht noch ein Grundsatzurteil an. Auch diesbezüglich ließen die Richter den Gang zum OGH zu.

VW will Rechtsmittel einlegen

Der VW-Konzern teilte mit, er werde gegen das Urteil Rechtsmittel einlegen: „Nachdem das Fahrzeug weiterhin verkehrs- und betriebssicher und auch die Zulassung in keiner Weise gefährdet ist, besteht keine Grundlage für die Klagsstattgebung“, so das Unternehmen.

Das Urteil stelle eine Einzelmeinung dar: Selbst das OLG Wien habe in einem gleichgelagerten Verfahren mit Entscheidung vom 17.Oktober 2019 den Einsatz eines Thermofensters „ausdrücklich für zulässig und rechtskonform erklärt“. Die Oberlandesgerichte Linz und Innsbruck seien ebenfalls zu einem gegenteiligen Schluss gekommen. Die Revision beim Obersten Gerichtshof (OGH) wird also interessant.

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