Die Volkswagen AG zieht im Rahmen des Abgasskandals in einem weiteren Rechtsstreit vor den US Supreme Court. Der deutsche Automobilhersteller befürchtet Forderungen von mehr als 127 Milliarden Dollar pro Jahr.
Im Juni hatte VW eine juristische Niederlage gegen den amerikanischen Bundesstaat Ohio erlitten. Das oberste Gericht des Bundesstaates hatte entschieden, dass die Anwendung des landesweit geltenden US-Luftreinhaltegesetzes „Clean Air Act“ auf VW nicht verhindere, dass Ohio Ansprüche aufgrund eigener Gesetze verfolge. Damit könnte der Bundesstaat Sanktionen aufgrund systematischer Abgasmanipulationen gegen VW verhängen, die über die landesweit vereinbarten Strafen hinausgehen.
Das Ohio-Urteil habe die Türen für längst abgegoltene Ansprüche aus dem „Clean Air Act“ wieder geöffnet. Die Forderungen „könnten sich über einen Zeitraum von mehreren Jahren auf 350 Millionen Dollar pro Tag oder mehr als 127 Milliarden Dollar pro Jahr belaufen“, erklärte VW in den Gerichtspapieren.
Der Autobauer reichte nun einen Antrag zur Überprüfung des Falls beim Obersten US-Gericht ein und hofft, dass das Urteil vom Supreme Court noch gekippt wird. VW ist der Meinung, die Ansprüche einzelner US-Bezirke und
-Bundesstaaten wegen manipulierter Abgaswerte seien bereits durch Strafzahlungen und Entschädigungen abgegolten, die der Autokonzern infolge des Verstoßes gegen das Luftreinhaltegesetz hatte leisten müssen. Diverse andere US-Gerichte seien in ähnlichen Fällen ebenfalls zu dieser Einschätzung gelangt.
Finanzielle Risken noch nicht absehbar
Ohio ist nur einer der juristischen Schauplätze in den USA, auf dem VW noch mit Altlasten aus der Dieselaffäre zu kämpfen hat. Schon im Januar hatte der Autokonzern den Supreme Court wegen ähnlicher Klagen von Bezirken in den Bundesstaaten Florida und Utah eingeschaltet.
Die Aufarbeitung des Abgasskandals galt in den USA als längst abgeschlossen, doch nach einer Entscheidung des Bundesberufungsgerichts im Juni 2020 wird sich VW weiter mit Verfahren um mögliche zusätzliche Strafen auseinandersetzen müssen. Das Gericht entschied, dass zusätzliche Strafen auf Regionalebene in Florida und Utah zulässig seien.
Welche finanziellen Risiken das für den Autokonzern birgt, ist noch unklar. Anwälte im Umkreis des Unternehmens gehen bei den noch ausstehenden Fällen höchstens von Belastungen im zweistelligen Millionenbereich aus. Bisher hat VW mehr als 30 Milliarden Euro für den Abgasskandal ausgegeben; ein Großteil des Geldes ging für Straf- und Kompensationszahlungen an die USA.
Breite Rückendeckung für VW aus der Autowelt
Zahlreiche Lobbygruppen aus der Autobranche unterstützen den Volkswagen-Konzern bei seinem Antrag an den Supreme Court, das Urteil des Bundesgerichtshofs zu kippen. Neben dem Weltdachverband der Autohersteller OICA und den europäischen Branchenvertretungen ACEA und CLEPA erhielt VW auch Unterstützung von den US-Verbänden Alliance for Automative Innovation und National Automobile Dealers Association. Sie nutzten dafür sogenannte Amicus-Schriftsätze, mit denen Unbeteiligte in US-Verfahren Partei ergreifen können.
Es ist indes kein Wunder, dass sich die Autowelt hinter VW stellt, denn die Branche fürchtet die enormen rechtlichen Risiken eines Präzedenzfalls. Sogar vier frühere Beamte aus den US-Umweltämtern EPA und Carb sowie des Justizministeriums stehen VW bei. Bislang ist nicht bekannt, ob sich die Richter des US Supreme Courts überzeugen lassen und den Fall annehmen.