Im VW-Abgasskandal hat ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) die Rechte von VW-Dieselkunden in ganz Europa gestärkt. Die EU-Richter stellten klar, dass Geschädigte nicht unbedingt dort gegen den Autohersteller klagen müssen, wo Volkswagen seinen Hauptsitz hat. Statt in Deutschland können sie auch in dem Land gegen VW vor Gericht ziehen, wo sie das Auto gekauft haben.
Weil Volkswagen Kunden in ganz Europa vorsätzlich geschädigt habe, können vom Abgasskandal Betroffene den Konzern regelmäßig auch in ihrem jeweiligen Heimatstaat verklagen und müssen nicht in Deutschland vor Gericht ziehen. Diese Entscheidung verkündete der EuGH am Donnerstag, den 9. Juli 2020 (Urt. v. 09.07.2020, Az. C-343/19).
Die Richter folgten damit den Schlussanträgen des Generalanwalts, der feststellte, dass bei einer unerlaubten Handlung der Geschädigte nicht nur dort klagen könne, wo die Schädigungshandlung passiert ist, sondern auch dort, wo der Schaden eingetreten ist. Im Fall von VW sei das der Ort, an dem das Fahrzeug gekauft wurde.
Österreichische Verbraucherschützer hatten gegen VW geklagt
Hintergrund dieser Entscheidung des EuGH ist der Fall von 574 Geschädigten in Österreich. Die betrogenen VW-Kunden hatten dem österreichischen Verein für Konsumenteninformation (VKI) ihre Ansprüche gegen den Wolfsburger Autohersteller übertragen. Der VKI verklagte Volkswagen dann stellvertretend vor dem Landesgericht Klagenfurt auf Schadensersatz in Höhe von 3,6 Millionen Euro. Zusätzlich soll Volkswagen noch für alle bislang noch nicht bezifferbaren und künftigen Schäden haften.
Grund für die Klage war auch dort die bekannte Abschalteinrichtung in VW-Diesel-Motoren, die am Prüfstand einen Abgasausstoß innerhalb der vorgeschriebenen EU-Höchstwerte anzeigt, der unter realen Bedingungen jedoch überschritten wird. Vor dem deutschen Bundesgerichtshof (BGH) wurde VW aus diesem Grund schon zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt.
Das Argument des VKI: Die betroffenen Kunden hätten das Dieselfahrzeug nicht oder höchstens zu einem 30 Prozent niedrigeren Preis gekauft, wenn sie von der Abgasmanipulation gewusst hätten. Aufgrund der unzulässigen Abschalteinrichtungen sei der Marktwert der Fahrzeuge deutlich niedriger als der bezahlte Preis.
Bei deliktischer Haftung sind Klagen im eigenen Land möglich
In der Regel sind nach EU-Recht grundsätzlich die Gerichte des Landes zuständig, in dem Beklagte ihren Sitz haben. Deshalb war Volkswagen der Ansicht, dem Klagenfurter Gericht fehle für die Schadensersatzklage die internationale Zuständigkeit. Österreichische Gerichte seien schon gar nicht zuständig, um über die Schadensersatzansprüche zu befinden. Wenn es allerdings wie in diesem Fall um eine deliktische Haftung geht, kommen sowohl der Ort, an dem der Schaden eingetreten ist, als auch der Ort, an dem das für den Schaden ursächliche Geschehen stattfand, für die Klage in Betracht.
Die österreichischen Richter baten daher den Europäischen Gerichtshof, das EU-Recht in diesem Fall festzustellen. Der EuGH urteilte grundsätzlich, dass im VW-Abgasskandal eine Ausnahme der üblichen Zuständigkeiten vorliege. Der Ort des ursächlichen Geschehens – des Einbaus der Manipulationssoftware – befinde sich zwar in Deutschland. Die VW-Fahrzeuge seien also schon bei Auslieferung mit dem Mangel behaftet gewesen. In diesem Fall bestehe der Schaden aber in einer Wertminderung durch die Differenz zwischen Kaufpreis und tatsächlichem Wert aufgrund der Manipulationssoftware – und der sei erst später eingetreten.
Die EuGH-Richter stellten außerdem klar, dass Volkswagen damit rechnen musste, in den Ländern verklagt zu werden, in denen der Konzern die Autos verkaufe. Über die Sammelklage der österreichischen Verbraucherschützer vom VKI wird jetzt das Klagenfurter Gericht entscheiden.
Weitere Verfahren im Dieselskandal am EuGH noch offen
Am EuGH sind noch acht Verfahren im Diesel-Abgasskandal anhängig: ein weiterer aus Österreich, sechs aus Deutschland und einer aus Frankreich. Der Oberste Gerichtshof Österreich will wissen, ob das Softwareupdate von VW rechtskonform ist. Außerdem soll der EuGH klären, ob der ursprüngliche Mangel als geringfügig gelten kann ist, wenn der Käufer wusste, dass das Fahrzeug einen Mangel hat.
In vier Fällen des Landgerichts Gera geht es darum, ob VW sich eine Typengenehmigung der EU erschlichen hat und ob Verbraucher eine Nutzungsentschädigung bezahlen müssen. Das Verwaltungsgericht Schleswig lässt das Softwareupdate für den Dieselmotor EA 189 vom EuGH prüfen. Die Deutsche Umwelthilfe will wissen, ob es sich dabei ebenfalls um eine Abschalteinrichtung handelt. Das Landgericht Stuttgart will das sogenannte Thermofenster vom EuGH beurteilen lassen. Die Frage lautet: Ist die Abgasreinigung in einem eng gefassten Temperaturfenster zulässig? Auch hier geht es um die Zulässigkeit einer Nutzungsentschädigung.
Für das Tribunal de Grande Instance de Paris muss der EuGH klären, ob der EA 189 von VW eine unzulässige Abschalteinrichtung enthält. Unter welchen Bedingungen ist eine regulierte Abgasreinigung zulässig? Generalanwältin Eleanor Sharpston hat dazu bereits am 30. April 2020 in ihrem Schlussantrag deutlich gemacht, dass VW im Diesel-Motor EA 189 eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut hat. Der Zulässigkeit einer regulierten Abgasreinigung hat sie dabei enge Grenzen gesetzt.
Einzelklagen gegen VW sind aussichtsreich!
Volkswagen ist weltweit noch immer tief in den Abgasskandal verstrickt und musste für den Skandal bereits über 30 Milliarden Euro zahlen – den größten Teil davon für Strafen und Entschädigungen in den USA. Weitere Milliardenstrafen sind dort noch möglich, denn einzelne US-Bundesstaaten klagen noch wegen der klimaschädlichen Emissionen gegen den deutschen Autobauer.
In Deutschland endete die erste Musterklage mit einem Vergleich. Rund 260.000 Dieselkunden bekommen je nach Modell und Alter ihres Autos zwischen 1350 und 6257 Euro. Es sind aber auch noch 50.000 Einzelklagen offen – mit sehr guten Erfolgsaussichten. Auch in Deutschland wird es wohl für VW noch einmal richtig teuer: Am 25. Mai 2020 hat nämlich der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass die Volkswagen AG im Abgasskandal zu Schadensersatzzahlungen verpflichtet ist.
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