Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) bemüht sich seit Herbst 2015 um Aufklärung darüber, wie das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA), das Bundesverkehrsministerium (BMVI) und die Automobilkonzerne mit dem größten Industrieskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte umgegangen sind. Die Beteiligten haben mit allen Mitteln versucht, die Aufklärung zu verhindern, indem sie Dokumente manipuliert und nur unvollständig vorgelegt haben. Nach jahrelangen gerichtlichen Auseinandersetzungen ist es der DUH jetzt endlich gelungen, die vollständigen Dokumente zum Dieselgate zu bekommen.
Im Rahmen einer digitalen Pressekonferenz am 23. April 2021 haben der DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch, der Sachverständige Axel Friedrich und Rechtsanwalt Remo Klinger die Ergebnisse der Auswertung präsentiert. Es geht um den gesamten Schriftverkehr vom 18. September bis zum 15. Oktober 2015 und weitere brisante Unterlagen zu Fahrzeugmessungen und Freigaben des KBA für die Hersteller VW, Seat und Audi, die der DUH anonym zugespielt wurden.
Absprachen zwischen Politik, Behörden und Autokonzernen
Laut DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch zeigen die jetzt endlich ungeschwärzt vorliegenden Papiere aus dem KBA und BMVI „eine erschreckend enge Kumpanei von Politik, Behörden und den betrügerischen Automobilkonzernen zu Lasten der Umwelt und Millionen betroffener Diesel-Eigner“. Die Unterlagen belegen auch Falschaussagen des Verkehrsministeriums, das von den Abschalteinrichtungen nichts gewusst haben will.
Als eine Leugnung nicht mehr möglich war, hat das CSU-Ministerium seine öffentlichen Äußerungen am 13. Oktober 2015 mit Volkswagen abgestimmt. „So wurde auch aus einer ‚unzulässigen‘ eine ‚beanstandete‘ Abschalteinrichtung. Dem Ministerium wie dem Kraftfahrtbundesamt war die Illegalität der Abschalteinrichtungen in Millionen Diesel-Pkw bekannt. Doch sie vermieden es, das klar zu benennen. So erschwerten sie es den geschädigten Pkw-Besitzern über Jahre hinweg, ihre Rechte durchzusetzen“, so Resch.
Nach einem erfolgreichen Rechtsstreit vor dem Verwaltungs- und Oberverwaltungsgericht Schleswig im Herbst 2020 wurden der DUH die Akten des KBA zum Motorentyp EA189 endlich teilweise vorgelegt. Doch die Einsicht in Informationen zum neueren VW-Motorentyp EA288 haben der Autokonzern und das KBA weiterhin hartnäckig verhindert. Erst nach einem Vollstreckungsverfahren und der Androhung eines Zwangsgelds in Höhe von 10.000 Euro gegen das KBA bekam die DUH die Akte weitgehend ungeschwärzt ausgehändigt – inklusive der Akten zum Motor EA288. In der KBA-Akte werden zwei „Regenerationsstrategien auf dem Prüfstand und im Felde“ beim Motor EA288 zugegeben. Aber das angeführte Gutachten fehlt in den Akten, obwohl es für die darauffolgenden Tage angekündigt war.
Fahrzeuge weisen noch immer drastisch erhöhte Abgaswerte auf
Axel Friedrich, wissenschaftlicher Leiter des Emissions-Kontroll-Instituts der DUH, kommentiert die Bedeutung der Akten: „Die Akten verdeutlichen, wie die durch VW finanzierten rechtlichen und technischen Darlegungen des Sachverhalts vom Kraftfahrt-Bundesamt hingenommen wurden, ohne selbst eine Prüfung des Motorentyps EA 288 überhaupt in Erwägung zu ziehen. Stattdessen blinde Gefolgschaft, nur, weil der Konzern beteuert, dass die Wirksamkeit des Emissionsminderungssystems unter normalen Fahrbedingungen sich nicht verringert. Und die Öffentlichkeit wurde darüber nicht informiert.“ Da stelle sich die Frage, wer hier wen kontrolliert.
Das KBA habe einige Abschalteinrichtungen beseitigen lassen, doch die Fahrzeuge wiesen auch danach noch zu hohe Abgaswerte auf. Obwohl einige Modelle die Grenzwerte um das 20- bis 25-Fache überschreiten, dürften sie weiterhin fahren. Eines dieser zugelassenen Abschalteinrichtungen ist das Thermofenster, bei dem das Fahrzeug mehr als 50 Prozent der Zeit ohne wirksame Abgasreinigung fährt. „Es gibt also zulässige Abschalteinrichtungen und unzulässige Abschalteinrichtungen. Das ist in der EU-Richtlinie so aber nicht vorgesehen“, so Friedrich. Die Akten hätten nach einem Monat, nicht erst nach fünf Jahren verfügbar sein müssen. „Die Möglichkeit, Strafen auszusprechen, sind nicht genutzt worden. Bis heute wurden keine Strafsysteme von der Bundesregierung eingeführt. Das sei nicht nachvollziehbar und ein Betrug an der Natur, der Umwelt, der Gesundheit der Menschen und dem Eigentum der Autohalter.“
Die Akten zeigen auch, dass noch nach Oktober 2015 Fahrzeuge mit den bereits bekannt gewordenen Abschalteinrichtungen zugelassen wurden. Weil das für die gegen frühere Mitarbeiter von Volkswagen geführten Verfahren strafrechtlich relevant sein könnte, habe man diese Unterlagen an die zuständige Staatsanwaltschaft Braunschweig weitergeleitet“, sagt Remo Klinger, der die DUH in den Verfahren anwaltlich vertreten hat. „Die Behörden behandeln die DUH wie einen Feind“, so Klinger. Das KBA müsse dringend an seinem Selbstverständnis arbeiten, denn Behörden, erst recht Bundesoberbehörden, hätten rechtliche Vorgaben einzuhalten und objektiv zu sein.
Kraftfahrt-Bundesamt als „Bettvorleger der Dieselkonzerne“
Die Deutsche Umwelthilfe hat außerdem anonym zugespielte Unterlagen ausgewertet. Darin ging es um Modelle von VW, Seat und Audi, die zunächst durch das KBA zurückgerufen worden waren, dann aber freigegeben wurden. Nach der Umsetzung der im Rückruf durch das KBA auferlegten Maßnahmen enthielten die Fahrzeuge nun keine illegalen Abschalteinrichtungen mehr. Doch die ebenfalls anonym übermittelten TÜV-Messprotokolle zu den Fahrzeugen wecken Zweifel an dieser Aussage.
Laut Jürgen Resch zeigen auch diese KBA-Bescheide, wie wichtig es ist, „dass eine neue Bundesregierung die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen und die Überwachung der Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen in zwei unterschiedliche Behörden legt“. Alle Diesel-Pkw mit aktiven Abschalteinrichtungen müssten stilllegt oder zur Reparatur der Abgasreinigung verpflichtet werden. „Die mit der Automobilindustrie eng verbandelten CSU-Verkehrsminister Ramsauer, Dobrindt und Scheuer haben aus der ehemals stolzen Bundesbehörde Kraftfahrt-Bundesamt einen Bettvorleger der Dieselkonzerne gemacht, die ihrer unabhängigen Überwachungsaufgabe nicht gerecht wird“, so Resch.
Offenlegung der EA288-Akten: Verjährung könnte aufgehoben werden
Die jahrelang geheim gehaltenen Unterlagen zeigen, dass den Verkehrsministern die Illegalität der Abschalteinrichtungen in Millionen Pkw schon lange bekannt war. Die Verbraucher sollten die Möglichkeit haben, auf Reparaturen oder die Fahrzeugrückgabe zu klagen. Dazu hätten ihnen aber die Daten und Informationen vom BMVI gefehlt, so Jürgen Resch in der Pressekonferenz. Das Thermofenster als temperaturabhängige Abschalteinrichtung wird von den Behörden hingenommen. Das sei nicht zu akzeptieren.
Die DUH klagt jetzt weiter auf Akteneinsicht, denn zum Motor EA288 fehlen noch immer Unterlagen. Mit den EA288-Akten könnten dann zum Beispiel Falschaussagen von VW aufgedeckt werden, die eine Verjährung aufheben. Dann können auch VW-Halter noch eine Entschädigung bekommen, die bereits vor Gericht verloren haben.
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