Artikel 8: Pflicht zur Einrichtung interner Meldekanäle
Inhalt des Artikels
(3) Absatz 1 gilt für juristische Personen des privaten Sektors mit 50 oder mehr Arbeitnehmern.
(4) Der in Absatz 3 festgelegte Schwellenwert gilt nicht für juristische Personen, die unter die im Anhang in den Teilen I.B und II genannten Unionsrechtsakte fallen.
(5) Meldekanäle können intern von einer hierfür benannten Person oder Abteilung betrieben oder extern von einem Dritten bereitgestellt werden. Die in Artikel 9 Absatz 1 genannten Garantien und Anforderungen gelten auch für Dritte, die damit beauftragt sind, den Meldekanal für eine juristische Person des privaten Sektors zu betreiben.
(6) Juristische Personen des privaten Sektors mit 50 bis 249 Arbeitnehmern können für die Entgegennahme von Meldungen und für möglicherweise durchzuführende Untersuchungen Ressourcen teilen. Dies gilt unbeschadet der diesen juristischen Personen durch diese Richtlinie auferlegten Verpflichtung, Vertraulichkeit zu wahren, Rückmeldung zu geben und gegen den gemeldeten Verstoß vorzugehen.
(7) Nach einer geeigneten Risikobewertung, die der Art der Tätigkeiten der juristischen Personen und dem von ihnen ausgehenden Risiko — insbesondere für die Umwelt und die öffentliche Gesundheit — Rechnung trägt, können die Mitgliedstaaten juristische Personen des privaten Sektors mit weniger als 50 Arbeitnehmern verpflichten, interne Meldekanäle und -verfahren gemäß Kapitel II einzurichten.
(8) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission jede gemäß Absatz 7 gefasste Entscheidung, juristische Personen des privaten Sektors zur Einrichtung interner Meldekanäle zu verpflichten, mit. Diese Mitteilung enthält eine Begründung der Entscheidung und die in der Risikobewertung nach Absatz 7 verwendeten Kriterien. Die Kommission setzt die anderen Mitgliedstaaten von dieser Entscheidung in Kenntnis.
(9) Absatz 1 gilt für alle juristischen Personen des öffentlichen Sektors, einschließlich Stellen, die im Eigentum oder unter der Kontrolle einer solchen juristischen Person stehen. Die Mitgliedstaaten können Gemeinden mit weniger als 10 000 Einwohnern oder weniger als 50 Arbeitnehmern oder sonstige juristische Personen im Sinne von Unterabsatz 1 dieses Absatzes mit weniger als 50 Arbeitnehmern von der Verpflichtung nach Absatz 1 ausnehmen. Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass interne Meldekanäle entsprechend dem nationalen Recht von Gemeinden gemeinsam oder von gemeinsamen Behördendiensten betrieben werden können, sofern die geteilten internen Meldekanäle von den einschlägigen externen Meldekanälen getrennt und gegenüber diesen autonom sind.
Kommentar zu Artikel 8
Absatz 1
Absatz 1 der Whistleblower-Richtlinie (WBRL) verpflichtet den nationalen Gesetzgeber durch nationales Gesetz, juristische Personen des privaten und öffentlichen Sektors in den personellen Anwendungsbereich einer Regelung zur Einrichtung interner Meldekanäle und Folgemaßnahmen aufzunehmen. Juristische Personen sind Personenvereinigungen und Zweckvermögen mit anerkannter rechtlicher Selbständigkeit mithin Stiftungen des bürgerlichen Rechts, Vereine (eingetragener Verein, altrechtlicher Verein, rechtsfähiger wirtschaftlicher Verein), Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, GmbH einschließlich der Unternehmergesellschaft, eingetragene Genossenschaften und Europäische Gesellschaften. Aus den Erwägungen der Richtlinie (52) ergibt sich die Sonderintention („insbesondere“) des Richtliniengebers, die Einhaltung der Vorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge im öffentlichen Sektor zu gewährleisten. Es sollen alle öffentlichen Auftraggeber und Auftraggeber auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene entsprechend ihrer Größe zur Einrichtung interner Meldekanäle verpflichtet sein. Juristische Personen des Privatrechts sind unter den Voraussetzungen des § 99 Nr. 2 GWB öffentliche Auftraggeber. Als öffentlicher Auftraggeber gelten juristische Personen des privaten Rechts auch, wenn die Voraussetzungen des § 99 Nr. 4 GWB vorliegen, also bei der Vergabe von bestimmten Bauprojekten, wenn diese überwiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert werden. Unter den Voraussetzungen des § 100 Nr. 2 können juristische Personen des privaten Rechts auch Sektorenauftraggeber sein. Im Vergaberecht wird der Begriff der juristischen Person des privaten Rechts weitergefasst und umfasst auch Unternehmen, die nur teilrechtsfähig sind, wie z.B. eine Kommanditgesellschaft, sodass auch ein Unternehmen in der Rechtsform der GmbH & Co. KG im Vergaberecht als juristische Person gilt.
Der 2. HS zielt auf ein Mitbestimmungsrecht von Arbeitnehmervertretungen ab. Betroffen sein könnte § 87 Absatz 1 Nr. 1 BetrVG („Ordnung“). Bei der Einführung von Hinweisgeber-Software-Systemen kann zudem § 87 Absatz 1 Nr. 6 BetrVG („technische Überwachung“) einschlägig sein. Allerdings spricht die gesetzliche Regelung durch die Richtlinie und ein Hinweisgeberschutzgesetz gegen ein Mitbestimmungsrecht.
Absatz 2
Absatz 2 gibt dem nationalen Gesetzgeber verpflichtend auf, Arbeitnehmer zu schützen („müssen“), indem er den Adressaten der WBRL bzw. des Hinweisgeberschutzgesetzes die Pflicht auferlegt, Meldekanäle für Arbeitnehmer einzurichten. Dem nationalen Gesetzgeber bleibt es überlassen, ob er durch ein Hinweisgeberschutzgesetz auch Selbstständige, Gesellschafter und Aufsichtsräte sowie sonstige abhängig Beschäftigte von Auftragnehmern schützt (Artikel 4 Absatz 1 Buchstaben b, c und d und Artikel 4 Absatz 2 WBRL). Eine Einbeziehung erscheint sinnvoll, damit sich diese Hinweisgeber nicht direkt an externe Quellen wenden.
Absatz 3
Absatz 3 nimmt juristische Personen mit weniger als 50 Arbeitnehmern aus der Verpflichtung zur Errichtung interner Kanäle und Folgemaßnahmen heraus. Arbeitnehmer sind Mitarbeiter, die Ihre vertraglich geschuldete Leistung im Rahmen einer von Dritten bestimmten Arbeitsorganisation und damit in persönlicher Abhängigkeit erbringen (Schaub/Koch, Arbeitsrecht von A-Z, 25. Auflage 2021). Zu unterscheiden sind zwei notwendige Auslegungen des Arbeitnehmerbegriffs. Zum einen die Auslegung der Frage, welche Mitarbeiter bei einem Hinweis geschützt sind. Zum anderen geht es aber in Artikel 8 Absatz 3 um die Ausnahmen vom Anwendungsbereich der Richtlinie.
Die Whistleblower-Richtlinie will gemeinsame Mindeststandards für Personen schaffen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, weswegen bei der Definition des Begriffs „Arbeitnehmer“ nicht auf nationale Vorschriften zurückgegriffen werden sollte. Die Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs hat sich daher an Art. 45 Abs. 1 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zu orientieren, wonach Arbeitnehmer alle Personen sind, die während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisungen Leistungen erbringen und hierfür als Gegenleistung eine Vergütung erhalten, sofern sich die Tätigkeit nicht vollkommen als untergeordnet oder unwesentlich darstellt. Der Anwendungsbereich der Richtlinie ist danach sehr weit gefasst und umfasst auch alle Teilzeitkräfte und Leiharbeiter, die alle jeweils als eine volle Person zählen. Zudem verlangt die Richtlinie den Schutz von Hinweisgebern ebenfalls für Praktikanten und Bewerber.
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