Nachdem sich der Bundesgerichtshof (BGH) am 25. Mai 2020 mit einem VW-Dieselfahrzeug befasst und dem Kläger Schadensersatz zugesprochen hat, muss sich im Herbst auch Daimler dem obersten deutschen Gericht stellen: Der BGH erklärte am Freitag in einer Pressemitteilung, dass sich der VI. Zivilsenat am 27. Oktober in einer Revision erstmals zum sogenannten Thermofenster in Mercedes-Benz-Fahrzeugen positionieren wird. Damit dürfte der Dieselskandal noch einmal Fahrt aufnehmen.
Der klagende Kunde hatte seinen Mercedes-Benz C 220 CDI mit dem Diesel-Motor der Baureihe OM 651 im Jahr 2017 gebraucht gekauft. Bei diesem Motortyp werden die Abgase wieder in den Motor zurückgeleitet und in Abhängigkeit von der Außentemperatur teilweise verbrannt. Der Kläger hält eine solche Abschalteinrichtung für unzulässig, doch in der Vorinstanz wurde die Klage vom Oberlandesgericht Koblenz abgewiesen. Daimler argumentierte, das Thermofenster diene dem Schutz des Motors.
Doch inzwischen können sich Kläger im Diesel-Abgasskandal über Rückenwind aus Luxemburg freuen: Das Urteil des Europäischen Gerichtshof (EuGH) zum Abgasskandal steht zwar noch aus – es wird im Sommer erwartet –, doch am 30. April 2020 hat die EuGH-Generalanwältin Eleanor Sharpston in ihrem Schlussantrag bereits erklärt, dass sie Abschalteinrichtungen grundsätzlich für unzulässig hält, wenn die gesetzlichen Emissionsgrenzen dadurch überschritten werden. Damit wäre die Abschalteinrichtung Thermofenster, die auch von Daimler genutzt wird, eindeutig illegal. Klagende Dieselfahrer hätten vor Gericht dann beste Aussichten auf Schadensersatz.
Die Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 5. Juni 2020
Unter der Überschrift „`Dieselverfahren´ gegen die Daimler AG (VI ZR 162/20) am 27. Oktober 2020, 9.30 Uhr“ gibt die Pressestelle folgende Meldung bekannt: „Der unter anderem für das Recht der unerlaubten Handlungen zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat erneut über Schadensersatzansprüche eines Fahrzeugkäufers gegen einen Fahrzeughersteller zu entscheiden. Der klagende Käufer macht geltend, das von der beklagten Daimler AG hergestellte Fahrzeug weise eine unzulässige Abschalteinrichtung in Gestalt eines sogenannten „Thermofenster“ auf.
Zum Sachverhalt schreibt die Pressestelle: „Der Kläger erwarb am 4. Februar 2017 von einem privaten Verkäufer ein gebrauchtes Kraftfahrzeug vom Typ Mercedes-Benz C 220 CDI, Erstzulassung 7. November 2011. Die Laufleistung betrug 69.838 km, der Kaufpreis 13.000 €. In dem Fahrzeug ist ein Dieselmotor der Baureihe OM 651 verbaut. Für den Fahrzeugtyp wurde eine Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt.
Bei dem vom Kläger erworbenen Fahrzeug wird ein variabler Anteil der Abgase wieder der Verbrennung im Motor zugeführt, was zu einer Verringerung der Stickoxidemissionen führt. Das Ausmaß der Abgasrückführung hängt unter anderem von der Außentemperatur ab, wobei die Einzelheiten zwischen den Parteien streitig sind.
Der Kläger behauptet, dass bei Temperaturen unter 7 °C keine Abgasrückführung mehr stattfinde. Er sieht in der Steuerung der Abgasrückführung eine unzulässige Abschalteinrichtung, die bewirke, dass die gesetzlichen Emissionsgrenzwerte zwar auf dem Prüfstand, nicht aber im normalen Fahrbetrieb eingehalten würden.
Die Beklagte macht geltend, dass die fragliche Steuerung, die diverse Parameter berücksichtige, schon keine Abschalteinrichtung im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 darstelle, jedenfalls aber zum Schutz des Motors zulässig sei.
Mit seiner Klage verlangt der Kläger von der Beklagten im Wesentlichen die Erstattung des gezahlten Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs.
Bisheriger Prozessverlauf
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat es in erster Linie ausgeführt, dass dem Kläger kein Schadensersatzanspruch wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß § 826 BGB gegen die Beklagte zustehe. Das Inverkehrbringen des später vom Kläger erworbenen Fahrzeugs sei nicht als sittenwidrige Handlung einzustufen, unabhängig von der objektiven Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des in der Motorsteuerung installierten „Thermofensters“. Es könne nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass die Verantwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein agiert hätten, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Die Gesetzeslage sei hinsichtlich der Zulässigkeit von “Thermofenstern” – anders als hinsichtlich der Prüfstandserkennung im VW-Motor EA189 – nicht eindeutig.
Dagegen wendet sich der Kläger mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision.
Die maßgeblichen Vorschriften lauten:
§ 826 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB):
Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.
Artikel 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007:
Im Sinne dieser Verordnung und ihrer Durchführungsmaßnahmen bezeichnet der Ausdruck: […]
„Abschalteinrichtung“ ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird; […]
Artikel 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007:
Die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist unzulässig. Dies ist nicht der Fall, wenn:
a) die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten; […]“
Vorinstanzen waren das Landgericht Mainz (Urteil vom 31. Juli 2019 – 4 O 1/19) und das Oberlandesgericht Koblenz (Urteil vom 20. Januar 2020 – 12 U 1593/19).
Die Hintergründe des Mercedes-Abgasskandals
Der Abgasskandal begann 2015 mit der Volkswagen AG, doch ein Jahr später wurde bekannt, dass auch die Daimler AG in ihren Dieselfahrzeugen Abschalteinrichtungen verbaut hat, um die Abgaswerte zu manipulieren: Während die Abgasreinigung auf dem Prüfstand der Zulassungsbehörden funktioniert, überschreiten die betroffenen Mercedes-Modelle im Normalbetrieb auf der Straße die gesetzlichen Emissionsgrenzwerte jedoch deutlich. Es kam zu zahlreichen Rückrufen, Softwareupdates, Klagen und Schadensersatzzahlungen.
Bei Daimler starteten die ersten großen Rückrufaktionen im Abgasskandal im Juni 2018. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ordnete Rückrufe für 280.000 Mercedes-Fahrzeuge in Deutschland an. Die illegale Abschalteinrichtung zur Abgasmanipulation in der Motorsteuerung sollte mit einem Softwareupdate deaktiviert werden. Erst am 7. Januar 2020 ordnete das Kraftfahrtbundesamt zwölf neue Rückrufe für etwa 150.000 Dieselfahrzeuge an. Aus Sicht des Kraftfahrt-Bundesamts liegen bei den jeweiligen Fahrzeugen unzulässige Abschalteinrichtungen vor. Zuletzt wurde am 26. Februar unter der Referenznummer 9715 das Modell E 250 CDI 4MATIC aus den Baujahren 2010/11 wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen zurückgerufen.
VON RUEDEN erfolgreich gegen die Daimler AG
Die Verbraucherrechtskanzlei VON RUEDEN konnte die ersten vier Urteile gegen die Daimler AG im Abgasskandal für ihre Mandanten gewinnen. Daimler wurde in allen vier Fällen wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu Schadensersatz verurteilt, den er an die klagenden Verbraucher zahlen musste.
Am 27. Oktober 2020 wird der Bundesgerichtshof BGH nun also erstmals urteilen, ob das sogenannte Thermofenster von Mercedes eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt oder nicht. Da offenbar die gesamte Dieselflotte der Daimler AG mit unzulässigen Abschaltungsrichtungen ausgestattet ist, werden wohl noch viele weitere Rückrufe folgen. Die obersten Gerichte machen jetzt den Weg für die Rückgabe der Fahrzeuge gegen Schadensersatz frei.
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