Durch das Coronavirus gelten zurzeit in vielen Bereichen Beschränkungen und Verbote. Um die Ausbreitung des Virus einzudämmen, erlaubt das Infektionsschutzgesetz Landesregierungen und Gesundheitsbehörden Maßnahmen wie Meldepflichten, Versammlungsverbote und Eingriffe in die Privatsphäre. Aber wie weit darf der Staat in die Grundrechte seiner Bürger eingreifen? Und wie werden diese Anweisungen und Verbote durchgesetzt?
In China wurden im Februar im Kampf gegen das Coronavirus ganze Landesteile zur Sperrzone erklärt und auch Italien hat seine Quarantänemaßnahmen auf das ganze Land ausgeweitet. Die Bürger wurden aufgefordert, zu Hause zu bleiben und nur in dringenden Fällen das Haus zu verlassen. Auch in Deutschland werden die Schutzmaßnahmen strenger. Viele Bundesländer verbieten Veranstaltungen und schließen Schulen und Kitas. Jetzt stellt sich die Frage: Wie weit darf der Staat gehen, um eine Pandemie einzudämmen?
Wann greift das Infektionsschutzgesetz?
Die aktuellen Maßnahmen sind durch das Infektionsschutzgesetz (IfSG) gerechtfertigt, das seit 2001 in Kraft ist und bei ansteckenden Krankheiten angewendet wird. Sein Zweck ist es, übertragbaren Krankheiten vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern. Es beinhaltet auch eine Meldepflicht für ansteckende Krankheiten.
Ende Januar dieses Jahres wurde beschlossen, dass auch das neuartige Coronavirus zu den meldepflichtigen Krankheiten zählt. Besteht bei einem Patienten der Verdacht auf eine Erkrankung, muss das innerhalb von 24 Stunden dem Gesundheitsamt gemeldet werden. Zuständig für die Bekämpfung der Infektionen sind in erster Linie die Länder und Kommunen – meistens das örtliche Gesundheitsamt.
Dürfen Grundrechte wie die Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden?
Das Infektionsschutzgesetz ermächtigt die örtlichen Gesundheitsämter im Fall einer Pandemie, bestimmte Grundrechte durch Schutzmaßnahmen zu begrenzen. Demnach dürfen die Behörden Veranstaltungen und Versammlungen verbieten und Gemeinschaftseinrichtungen wie Schulen, Kitas und Bäder schließen.
Sie können Menschen verpflichten, an einem Ort zu bleiben oder bestimmte Orte nicht zu betreten. Laut Paragraph 28 des IfSG „kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen; sie kann auch Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte nicht zu betreten, bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind.“ Diese Einschränkungen müssen jedoch verhältnismäßig sein und dürfen nur zeitlich, räumlich oder personell begrenzt gelten.
Kann man jemanden verpflichten, in Quarantäne zu gehen?
Nach Paragraph 30 des IfSG hat der Staat die Möglichkeit, „Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige und Ausscheider“ in geeigneten Krankenhäusern abzusondern. Die Quarantäne muss aber nicht unbedingt in einem Krankenhaus erfolgen. Erkrankte oder Verdachtsfälle können auch in häuslicher Quarantäne isoliert werden.
Ausdrücklich kann dabei in die Grundrechte der Freiheit der Person, in das Brief- und Postgeheimnis, die Versammlungsfreiheit und die Unverletzlichkeit der Wohnung eingegriffen werden. Das heißt, Personen, die unter Quarantäne stehen, dürfen auch Gegenstände weggenommen und Teile ihrer Post geöffnet oder zurückgehalten werden. Paragraph 31 zufolge dürfen auch berufliche Tätigkeitsverbote angeordnet werden. Entscheidend ist dabei, dass die Anordnungen unverzüglich gelten und keine gerichtliche Anordnung erforderlich ist. Sie betreffen auch nicht nur bereits Infizierte, sondern auch schon Verdachtsfälle.
Können auch ganze Regionen abgeriegelt werden – wie in Italien?
Theoretisch ist das möglich, allerdings wäre das schwer mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip des Gesetzes zu vereinbaren. Nach dem IfSG können zwar Bürgerrechte eingeschränkt werden, allerdings nur für Menschen, die andere anzustecken könnten. Würde eine ganze Stadt unter Quarantäne gestellt, beträfe das auch Menschen betreffen, die nicht erkrankt sind.
In Berlin wäre laut Innensenator Andreas Geisel (SPD) eine Quarantäne in Teilen der Stadt möglich – ähnlich wie in einigen Kommunen in Norditalien. Eine Abriegelung Berlins stehe nicht ernsthaft zur Debatte, aber der Katastrophenschutz sei vorbereitet und ein entsprechender Krisenstab bei der Berliner Feuerwehr eingerichtet. „Die Frage ist, wie wirksam das ist und ob es in einer 3,7-Millionen-Einwohner-Stadt so umfassend funktioniert wie in oberitalienischen Kleinstädten“, so Geisel.
Das Infektionsschutzgesetz bietet jedenfalls die Möglichkeit, Betroffenen zu verbieten, ihren Aufenthaltsort zu verlassen oder bestimmte Orte zu betreten. Das kann regionalen Sperrzonen gleichkommen.
Wie ließe sich die Einhaltung solcher Sperrzonen überwachen?
Man würde sicher Kontrollstellen einrichten, vermutet Sigrid Wienhues, Fachanwältin für Verwaltungsrecht. In einem auf spiegel.de veröffentlichten Interview sagt sie, man könne Menschen, die ein solches Gebiet verlassen wollen, zunächst einmal freundlich darauf hinweisen, dass sie das nicht dürfen.
Was passiert, wenn ich mich der Quarantäneanordnung widersetze?
Notfalls dürften Beamte der Ordnungsbehörden oder der Polizei auch unmittelbaren Zwang anwenden – also letztlich körperliche Gewalt. Dabei müsse aber auf die Verhältnismäßigkeit geachtet werden. Kommt ein Betroffener den Anordnungen der Behörden nicht nach, kann er zwangsweise in Quarantäne kommen. Er darf er zum Beispiel in ein Krankenhaus gebracht und dort festgehalten werden. Notfalls dürfte man ihn dort sogar im Bett fixieren, wenn er sonst auszubrechen droht. Bei Verstößen drohen außerdem Bußgelder, in manchen Fällen sogar Strafen.
Könnten auch bei uns Restaurants und Geschäfte schließen?
Nach dem Infektionsschutzgesetz wären Betretungsverbote möglich, die auch zu Werksschließungen führen könnten. Behörden dürfen Arbeitern und Angestellten zum Beispiel untersagen, ein bestimmtes Firmengelände zu betreten. Auch Restaurant könnten geschlossen werden, Bayern zum Beispiel plant schon entsprechende Maßnahmen. Restaurants und Kantinen dürfen nur noch von 6 bis 15 Uhr öffnen und ab Mittwoch sollen Geschäfte schließen, die nicht mit Waren des täglichen Bedarfs handeln. Lebensmittelgeschäfte, Apotheken, Banken und Tankstellen bleiben aber geöffnet.
Darf der öffentliche Nahverkehr eingestellt werden?
Die Schließung des öffentlichen Nahverkehrs ist nicht ausdrücklich im Gesetz vorgesehen. Es wäre aber denkbar, dass man Bürgern untersagt, Bahnhöfe und U-Bahnhöfe zu betreten. Damit wäre der öffentliche Nahverkehr faktisch eingestellt.
Warum werden jetzt nicht überall die Schulen geschlossen?
Die Befugnisse für solche Maßnahmen liegen bei den Ländern, nicht beim Bund. Allerdings stimmen sich Bund und Länder über das Vorgehen ab. Das Infektionsschutzgesetz hat aber auch ein zentralistisches Element, nämlich die wissenschaftliche Zuständigkeit des Robert Koch-Instituts. Es entscheidet bundesweit, was wissenschaftlich-medizinisch notwendig ist.
Darf ich in häuslicher Quarantäne noch den Müll runterbringen?
Dazu gibt es noch keine klaren Regelungen. Grundsätzlich sollte man aber jeden Kontakt nach außen vermeiden und für das absolut Notwendige besondere Hygienemaßnahmen berücksichtigen, zum Beispiel gründliches Händewaschen auch vor dem Herausbringen des Mülls. Auch wenn nicht für alle Details gesetzliche Vorgaben bestehen, sollte jeder Einzelne jetzt Verantwortung übernehmen und sich fragen, welches Verhalten sinnvoll ist.