Bislang geheime Papiere des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) liefern Dieselklägern jetzt neue Argumente und dürften ihnen bei Klagen gegen die Hersteller sehr nützlich sein. Das berichtet das Handelsblatt, dem die brisanten Bescheide des KBA über manipulierte Motorentypen vorliegen. Mit diesem Beweismaterial verbessern sich die Chancen der Kläger vor Gericht noch einmal deutlich.
Im Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz vom 12. Juni 2019 hatten die Richter die Frage, ob Volkswagen den Käufer eines VW Sharan vorsätzlich sittenwidrig geschädigt hat, bereits klar beantwortet: Volkswagen habe dem Kunden ein Fahrzeug mit Abschalteinrichtung verkauft, ausgestattet mit einer Software, die dafür sorge, dass der Sharan auf dem Prüfstand die vorgegebenen Abgaswerte einhielt, im Straßenverkehr jedoch um ein Vielfaches überschritt.
Keine weiteren Beweise erforderlich
Für diese Feststellung seien keine weiteren Beweise erforderlich, so die Richter weiter: „Ausweislich des bestandskräftigen Bescheids des Kraftfahrt-Bundesamts liege bei dem Motor des Typs EA 189 eine unzulässige Abschalteinrichtung vor. Alles, was VW dem entgegenstelle, bleibe damit unerheblich.
Dieses Urteil könnte für Tausende Kläger gegen den VW-Konzern von entscheidender Bedeutung sein. Auch wenn VW rechtlich dagegen vorgehen will: „An unserer grundsätzlichen Überzeugung, dass es sich bei der außerhalb der USA und Kanada in Fahrzeugen mit Dieselmotoren vom Typ EA 189 benutzten Umschaltlogik nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung nach europäischem Recht handelt, hat sich nichts geändert“, kommentierte ein VW-Sprecher.
Mit Vorlage der KBA-Bescheide dürften sich die Chancen der klagenden Kunden jetzt noch einmal deutlich verbessern. Sie müssen nicht mehr mühsam nachweisen, dass in ihren konkreten VW, Audi oder Porsche eine unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut wurde. Die Vorlage des entsprechenden KBA-Bescheids dürfte für den Beweis der sittenwidrigen Schädigung ausreichen.
Warum hat das KBA die Beweise zurückgehalten?
Die Anfrage des Handelsblatts, warum die Behörde den Kunden die Informationen über schädliche Abschalteinrichtungen von Volkswagen vorenthalten hat, antwortete nicht das KBA, sondern das Bundesverkehrsministerium. Aus der Behörde von Minister Andreas Scheuer (CSU) heißt es dazu, die Bescheide seien eine Sache zwischen Behörde und Autohersteller. Der Inhalt der Schreiben sei zudem sensibel, weil die Schriftstücke „unternehmensbezogene Daten“ enthielten. Offenbar bewertet das Ministerium die illegalen Abschalteinrichtungen als Betriebsgeheimnisse.
Klägeranwalt Andreas Baier fordert dagegen, „dass bei einer Rückrufanordnung die gefundene unzulässige Abschalteinrichtung sowie der genaue Grund eines Rückrufs öffentlich gemacht werden muss. Ansonsten erschwert das KBA die Rechtsdurchsetzung der vom Abgasskandal Geschädigten.“
Das Verkehrsministerium weist das zurück und schlägt den Klägern und ihren Anwälten vor, über das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) Einsicht in die KBA-Bescheide zu beantragen. Doch das hatte Anwalt Baier schon im April versucht – bislang ohne Erfolg.
Touareg verfügt über fünf Abschaltvarianten!
Der VW Touareg wurde mit gleich fünf Abschaltvarianten ausgestattet, die zum Teil darüber gesteuert werden, wie der Katalysator aufgeheizt wird. Die Software sorgt dafür, dass das Fahrzeug auf dem Prüfstand weniger giftige Stickoxide (NOx) ausstößt als auf der Straße. Im Straßenverkehr werden die Grenzwerte klar überschritten. Zwei weitere Strategien regulieren den Abgasausstoß über die Einspritzung des Harnstoff-Wassergemischs Adblue, das Stickoxide neutralisiert.
Bei der Luxuslimousine Audi A8 hat das KBA die Manipulationen ebenfalls eindrücklich geschildert. Laut der Deutschen Umwelthilfe (DUH) ist dieses Modell der größte Verschmutzer von allen manipulierten Fahrzeugen. Auch beim A8 stellt der KBA-Bescheid mehrere Abgastricks fest: Der 3-stufigen Aufheizstrategie gehe eine weitere Strategie „Alternatives Aufheizen“ voraus. Und auch bei Audi wird die Adblue-Einspritzung im Test und auf der Straße unterschiedlich reguliert.
Verzögerte Nachrüstungen
Die Bescheide sind eindeutig und die Manipulationen zum Teil schon seit Oktober 2017 bekannt. Dennoch fahren viele der betroffenen Modelle noch immer auf deutschen Straßen, obwohl die Autokonzerne alle betroffenen Fahrzeuge umrüsten und ein vom KBA kontrolliertes Softwareupdate durchführen müssen. Bei Audi wurden erst vier von acht Softwareupdates vom KBA abgenommen und bislang nur etwa 86.000 der betroffenen 151.000 Autos zurückgerufen.
Eine Veröffentlichung der Bescheide könnte dabei helfen, die Rückrufe zu beschleunigen und die Stickoxid-Belastung auf den Straßen zu senken.