Diesel Kartell – Was Verbraucher unternehmen können

Das Diesel-Kartell – Wie sich die fünf größten deutschen Autobauer über Jahre abstimmten und was Verbraucher jetzt unternehmen können

In die aktuelle Diskussion um die kartellrechtswidrigen Absprachen zwischen deutschen Autobauern bezüglich der Größe so genannter AdBlue-Tanks mischen sich jetzt Verbraucheranwälte. Sie weisen auf mögliche Schadenersatzansprüche der Verbraucher hin und auf einen vom Gesetzgeber geschaffenen neuen Paragraphen, der jetzt erstmals massenweise zur Anwendung kommen könnte.

Diesel-Kartell könnte seit den 90er Jahren bestehen

Seit den Neunzigerjahren sollen sich die deutschen Automobilkonzerne Daimler, BMW, Porsche, Audi und Volkswagen in geheimen Arbeitskreisen über Fahrzeugtechniken abgesprochen haben. Unter anderem auch über die Abgasreinigung ihrer Dieselfahrzeuge. Dies legen Recherchen des Spiegels nahe.

Danach hat sich Volkswagen in einem Schreiben vom 4. Juli 2016 selbst an deutsche und europäische Kartellbehörden gewandt und dort um den „Erlass, hilfsweise die Ermäßigung der andernfalls zu verhängenden Geldbuße“ gebeten. In dem Schreiben erklärt Volkswagen, es sei in den vergangenen Jahren möglicherweise zu kartellrechtswidrigen Verhalten gekommen. Das Unternehmen ginge davon aus, „dass in den vergangenen fünf Jahren über 1.000 entsprechende Sitzungen stattgefunden haben.“ Es habe ein „Austausch eigener wettbewerblich sensibler technischer Daten“ stattgefunden. Man habe sich abgestimmt, nur „bestimmte technische Lösungen“ in neue Fahrzeuge einzubauen, heißt es in dem Schreiben, das dem Spiegel vorliegt.

Aus einer E-Mail: „Hallo zusammen, anbei der „geheime“ Termin in München.“

In mehr als 60 Arbeitsgruppen sollen sich die fünf beteiligten Unternehmen seit 2006 abgestimmt haben. Auf den Arbeitstreffen sollen sich die Autokonzerne unter anderem zu der Größe der so genannten AdBlue-Tanks in den Fahrzeugen abgestimmt haben. AdBlue ist ein Mittel, das dem Dieselkraftstoff beigemischt wird. Mit ihm werden gefährliche Stickoxide in harmlose Wasser- und Stickstoffmoleküle aufgespalten. Hierdurch können die vom Gesetzgeber vorgegebenen Emissionswerte eingehalten werden. Zumindest in der Theorie.

Bei einem Treffen in Sindelfingen am 5. April 2016 hatte man festgestellt, dass jeder Hersteller unterschiedliche Größen für die AdBlue-Tanks verwendet. Der Arbeitskreis der Fahrwerksleiter fand, dass dies ein Unding sei. In einem Protokoll heißt es, man brauche hinsichtlich der Tankgröße unbedingt ein „abgestimmtes Vorgehen“. Größere Tanks wären größer gewesen und würden Platz wegnehmen. Platz den die Vertriebsleiter für teure Lautsprechersysteme freihalten wollten, die man dem Kunden als Sonderausstattungen verkaufen könnte.

Aus einem Protokoll: „Dringend Abstimmungsbedarf zwischen den Häusern. Einheitliche Eskalationslogik ist abzustimmen“

Über Monate konnten sich die Konzerne nicht auf eine einheitliche Größe für die Ad-Blue-Tanks einigen. Zwischen 17 und 35 Liter sollten die Tanks umfassen und möglichst nur von zwei Herstellern kommen. Im September 2008 einigen sich die Hersteller dann schließlich auf die Einführung eines 8-Liter-AdBlue-Tanks. Will man die Abgase allerdings vorschriftsgemäß reinigen, würde man so nur 6.000 Kilometer weit kommen.

Die Zulassungsbehörden in den USA machten dabei nicht mit. Ein Nachtanken von AdBlue zwischen den Wartungsintervallen kam für die US-Zulassungsbehörde nicht in Betracht. Eine Füllung müsse mindestens 16.000 Kilometer halten. In US-Fahrzeuge wurden anschließend 16-Liter-Tanks verbaut. In Deutschland blieb es bei den 8-Liter-Tanks.

Mit der Einführung der Euronorm 6 begannen die Probleme des Kartells

Als im März 2011 die Euronorm 6 eingeführt wurde, stand man dann vor einem Dilemma. Die in die Fahrzeuge verbauten Tanks waren viel zu klein. Man rechnete mit einem AdBlue-Mehrverbrauch von bis zu 50 Prozent. Dies hätte aber bedeutet, dass die Fahrzeuge nach rund 3.000 Kilometer immer wieder AdBlue nachtanken müssten. Das wollte keiner der Hersteller seinen Kunden zumuten.

Audi warnt in einer Mail vom Mai 2014 die anderen: Das Erfordernis, immer größere Mengen AdBlue in den Abgasstrang einzufüllen, könne zu einem „Wettrüsten bezüglich der Tankgrößen ausweiten, welches weiterhin tunlichst zu vermeiden ist.“ Rechtsanwalt Johannes von Rüden von der Berliner Rechtsanwaltskanzlei ist hierrüber stark verwundert: „Ein Wettrüsten ist doch gerade die Idee von freiem Wettbewerb.“ Der 40-jährige vertritt in seiner Berliner Kanzlei seit Bekanntwerden des VW-Abgasskandals rund 1.800 Betroffene Volkswagenkunden.

Hätte jedoch ein Hersteller größere AdBlue-Tanks verbaut, hätte das Kraftfahrtbundesamt skeptisch werden können. Wieso benötigt ein Hersteller größere Tanks, wohingegen die Konkurrenz mit kleineren Tank problemlos zurechtkommt. Volkswagen setzte nun seine umstrittene Software ein, die einen Prüfstand erkannte und genügend AdBlue einspritzte, um die Emissionswerte einzuhalten.

„Die Kartellbehörden müssen ermitteln, die Vorwürfe detailliert untersuchen und gegebenenfalls notwendige Konsequenzen ziehen,“ fordert Verkehrsminister Dobrindt. „Mit diesen Absprachen war die Grundlage für den Dieselskandal gelegt“, sagte Rechtsanwalt Johannes von Rüden. In Wirklichkeit sei der Dieselskandal ein „Deutschlands größter Kartellfall“ seit der Wiedervereinigung, sagte der Berliner Rechtsanwalt.

Volkswagen selbst wollte sich zu den Vorwürfen nicht äußern. „Zu Spekulationen und Sachverhaltsvermutungen auf Grundlage der Spiegel-Berichterstattung äußern wir uns nicht,“ sagte der Vorstandsvorsitzende der Volkswagen AG Matthias Müller gegenüber der Rheinischen Post.

Unterdessen hat der Münchener Automobilbauer BMW zugestanden, sich mit den anderen Herstellern über die Größe der in Dieselfahrzeugen verbauten AdBlue-Tanks abgesprochen zu haben. Die Manipulationen sollen aber nicht zur Schaffung von Wettbewerbsvorteilen geführt worden sein. „Diskussionen mit anderen Herstellern über AdBlue-Behälter zielten aus Sicht der BMW Group auf den notwendigen Aufbau einer Betankungsinfrastruktur in Europa ab,“ hieß es in einer am Sonntag verbreiteten Meldung der BMW Group.

Von Rüden sieht dies kritisch: „Um eine Betankungsinfrastruktur zu schaffen, muss man sich nicht auf die Größe der Tanks einigen. Dieses Argument scheint vorgeschoben zu sein. Die Formulierungen in den Protokollen legt sehr nahe, dass die Autokonzerne kartellrechtswidrige Vereinbarungen getroffen haben.“

Neben kaufrechtlichen Ansprüchen treten jetzt auch kartellrechtliche Ansprüche

Vor allem könnten Autokäufer geschädigt sein. „Der Käufer eines manipulierten Fahrzeugs kann gem. § 33a Abs. 1 Satz 1 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) Schadenersatz von dem jeweiligen Hersteller des Fahrzeugs verlangen“, sagte von Rüden. Möglich sei, dass Käufer wegen der Kartellabsprachen höhere Preise bezahlt haben, als eigentlich notwendig gewesen wären. Daneben dürfen die Fahrzeuge einen geringeren Wert auf dem Markt haben, so dass auch ein geringerer Verkaufspreis als Schaden anzusehen sei, betont von Rüden. Der Gesetzgeber hat am 27.12.2016 den neuen § 33a GWB eingeführt. „Dadurch ist die Rechtsverfolgung für den Verbraucher einfacher geworden,“ sagt von Rüden. So wird zugunsten des Verbrauchers vermutet, dass ein Kartell zu einem Schaden geführt hat. Die Höhe des Schadens muss nicht konkret angegeben werden. Es genügt, die Schadenersatzhöhe in Eckpunkten zu skizzieren und durch das Gericht schätzen zu lassen. „Damit kann das Gericht auch einen Mindestschaden zusprechen“, sagt von Rüden.

Ähnlich sieht es der Chef der Bundesverbandes der Verbraucherzentralen Klaus Müller. Wegen der offenkundigen Absprachen der Hersteller hätten viele Kunden einen “möglicherweise viel zu hohen Preis”für ihre Autos gezahlt, sagte Müller der Süddeutschen Zeitung. Zuspruch erhält Müller jetzt auch von der EU-Kommission. EU-Kommissarin Vera Jourova sagte gegenüber der Osnabrücker Zeitung, dass nun europaweit Sammelklagen eingeführt werden sollten. Bisher sei dies nur in einzelnen Mitgliedsländern der Fall, in Deutschland aber eben noch nicht.

Neben den Autokäufern könnten auch Aktionäre Schadenersatz gegen die Autokonzerne geltend machen. Die Furch vor möglichen Strafzahlungen hat die Aktienkurse bereits absacken lassen.

Noch bevor am 2. August der so genannte Dieselgipfel stattfindet fordern die Grünen im Bundestag ein Sondertreffen des Verkehrsausschusses, das für Ende Juli angesetzt werden soll. Man wollte sich so Klarheit über die Machenschaften des Autokartells verschaffen, sagte Verkehrspolitiker Oliver Krischer.

Der Betriebsrat von Volkswagen drängt nun auf eine außerordentliche Sitzung des Aufsichtsrats. „Der Vorstand ist in der Pflicht, das Aufsichtsgremium umfassend zu informieren“, sagte ein Sprecher am Sonntag der dpa. Dies sei bisher nicht geschehen.

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